jürgen Klauke, Ein existelieller Ästhet – El País
Glauben Sie immer noch (wenn überhaupt jemals) an die subversive Kraft der Kunst?
Es wird ja heute mehr über den Mehrwert (das Geld) der Kunst gesprochen und weniger über die Kunst und ihren Wert an sich. Das Geld und der Markt haben das Sagen und auf dem Markt sehen wir immer mehr Unangreifbares oder politisch Korrektes, so dass man zu dem Schluss kommen kann, die Kunst macht es sich gemütlich, passt sich an die neoliberalen, konservativen Gesellschaften an – schade – da könnte Subversion nicht schaden.
Ich glaube an ziemlich wenig, auch nicht an die Dauersubversion, aber in den Endsechzigern und Siebzigern, noch von Tabus umzingelt, war es für mich wichtig zu Provozieren und zwangsläufig zu Polarisieren. Nicht aber Provokation als Selbstzweck, sondern Bilder zu schaffen, die den Stachel tief ins Fleisch dieser selbstzufriedenen und verlogenen Gesellschaft bohren. In erster Linie geht’s um die Kraft und die Glaubwürdigkeit des künstlerischen Handelns. Kunst ist nicht angepasst – sie ist der Gegenpart zu den Institutionen und Systemen – diese sind zweckorientiert und zielen auf effizientes Handeln und Verständigung. Kunst aber erzeugt im besten Fall Irritationen und Bewusstseinskrisen. Kunst weicht ab und schafft Widersprüche und Konflikte. Sie vertieft und erweitert die Wahrnehmung der Welt. Dadurch erhält das „nutzlose“ Projekt Kunst seinen zwingenden Sinn.
Wie kann man die Entwicklung Ihres Verhältnisses zum menschlichen Körper innerhalb Ihrer Kunst "lesen"?
Der menschliche Körper steht im Zentrum meiner Arbeit, die ich am treffendsten mit „Ästhetisierung des Existenziellen“ bezeichne. In den Siebzigern ging’s z.B. in meinen Bildern darum, die soziale Kodierung des Geschlechts aufzuheben und zu erweitern. Der Transformer als Umformer. Die sexuelle Identität wird aufgebrochen, es wird interveniert und expandiert, was weit über das Reale sein könnte. Mein Körper im Bild als Projektionsfläche – lange vor der Genderdebatte. Die Umformungen beschränken sich allerdings nicht nur auf sexuelle Typologien, sondern auch andere gesellschaftliche und kulturpolitische Phänomene werden in der Folge dekonstruiert. Mein Körper bleibt Arbeitsmaterial – er ist immer wieder in den jeweiligen großen Werkgruppen der letzten Dekaden im Bild anwesend. Ich bezeichne ihn als Gedankenträger, Verstärker oder Stellvertreter. Mit sich die Welt darstellen oder das Ich an den inneren und äusseren Rändern.
Eine Arbeit, die Sie in Madrid zeigen werden ist "Schlachtfelder". Stilleben? Vanitas? Memento mori?
Ja, von all dem schwingt etwas mit. Meine Intention war, mit dieser monumentalen Arbeit dem Schrecklichen etwas von seinem Schrecken zu nehmen ohne ihn zu denunzieren. Ich mache mir ein Bild von der Unsicherheit und Fragilität unserer Existenz und der Endlichkeit derselben. Wir haben den Tod nie erfahren – also bewege ich mich in Zonen des Undenkbaren oder Unaussprechlichen. In den Bildern wird das Innere, Formlose, Amorphe, der funktionslose Rest durchkreuzt von leeren schwingenden Stühlen und performativen An- und Ausschnitten meines Körpers, die von präsenter Abwesenheit oder abwesender Anwesenheit flüstern. Bilder für das fremde Territorium des Todes und die Kälte des Seins.
Arbeiten Sie mit Bild-Sequenzen als Narrativ oder als rhythmische Variation?
Rhythmus ja – reine Narration wird eher vermieden. Vielleicht kann man einige analytische Sequenzen der Siebziger so lesen. Die Bildreihung oder Bildräume wie ich sie seit den Achzigern mache, z.B. die Variationen eines Themas, tragen zur Verdichtung der Fragestellung bei. Der Kerngedanke wird bildlich ausgekostet, gedehnt und somit verdichtet. In diesem Zusammenhang spreche ich von Resonanz oder von Reflektionsräumen. Es ist ein Kreisen um die Leerstellen, die sich immer wieder einstellen, die Nichteinlösung der Heilsversprechen sinnlich und bildlich erfahrbar zu machen ist das Ziel. Die Frage als Zeichen, letztendlich als Bild, muss wirken – nicht um Antworten zu geben, sondern die Frage ist Bild geworden und je nach Intensität oder Wirkung auf’s zentrale Nervensystem des Betrachters, kommt er näher ans Bild und an sich selbst.
Ist für Sie Hässlichkeit eine Abstammung/ Herleitung/ Ursprung von Schönheit?
Karl Rosenkranz hat in seiner Ästhetik des Hässlichen „die Hässlichkeit geduldet solange sie der Schönheit dient“. Ohne Schönheit wüssten wir nicht, was hässlich ist und umgekehrt. Schönheit alleine, so ganz schön, wird schnell langweilig und in der Kunst ganz besonders. An sich gibt es keine hässliche Kunst, nur schlechte und gute. Wenn ich auf meine Arbeit blicke, so sehe ich nichts Hässliches, sondern unterschiedlichste Fragestellungen, der Wirklichkeit etwas näher zu kommen und das hat nicht per se mit Schönheit zu tun und kann polarisieren.
Humor und Ironie sind wichtige, aber subtile Elemente in Ihrer Arbeit. Benutzen Sie sie entgegen der Feierlichkeit?
Die Grundstimmung, das Grundgeräusch, der Sound meiner gesamten Arbeit setzt sich mit den Unzulänglichkeiten unseres Daseins – mit den unauflöslichen Konflikten mit uns selbst und dem damit verbundenen „schönen Scheitern“ auseinander. Diese Wiederkehr des Immergleichen unter jeweils anderen Bedingungen, verführt mich dazu, mich der Welt und Meiner zu vergewissern, im poetischen Reflex und in immer anderen Bildern. Welt als Vorstellung. Bilder des Unsichtbaren. Es ist aber auch immer ein konzeptionelles und bildnerisches Aufbrechen überkommener Denk- und Bildvorstellungen. Als Duftstoff wird diesem bisweilen melancholischen Blick Humor und Ironie beigemischt.
Nach der Bedeutung des Körpers bekommen Objekte mehr und mehr eine Hauptrolle in Ihrer Arbeit. Warum?
Sie stehen nicht im Mittelpunkt, sind aber da. Sie gehören zu uns, wie wir zu ihnen. Es sind die alltäglichen Gegenstände, z.B. Tisch, Stuhl, Eimer, Steckdosen, etc., denen ich meist ihre Gebrauchszuweisung, ihren Code entziehe. Als Material im Bild mutieren sie zu etwas anderem. Der Bildgegenstand vermittelt andere Informationen, als die, die ihm zugeschrieben sind. Im bereinigten Bildraum wird der Blick frei für die dinghafte bzw. menschliche Existenz. Mal bleiben die Dinge, was sie sind, doch überwiegend stellen sie andere Fragen und weisen über sich hinaus.
Die Werkgruppe "Ästhetische Paranoia" erinnert mich an Dali's "paranoid-kritische Methode". Leiden wir nicht tatsächlich an ästhetischer Schizofrenie? Was können Sie uns zur Idee hinter der "Ästhetischen Paranoia" sagen?
Ins Zentrum dieses großen Werkblocks ragen zwei Kernaspekte – der Mensch allein im Raum, sowie technologische Strukturen und Systeme, die uns dominieren. Der Titel wurde inspiriert durch die fortschreitende Ästhetisierung unserer Lebenswelt, der ich meine „Ästhetisierung des Existenziellen“ entgegenstelle. Sie befindet sich nicht in Übereinstimmung mit den Bildern, Suggestionen und Versprechen, die unseren Alltag bevölkern. In meinen Bildern tragen scheinbare Funktion, scheinbare Ordnung, Überfülle und Leere, Auflösung und Chaos etwas zum ästhetisch-technokratischen Kollaps bei oder lassen etwas von der Kollision zwischen Individuum und System ahnen. Dazwischen der Mensch allein im Raum, in einem erotischen Schwebezustand oder in Reiz-Reaktionssysteme verstrickt oder mit imaginären Suchprozessen beschäftigt. (www.juergenklauke.de) Ich hoffe, mit meinen Bildern zu einer Vergegenwärtigung unseres paranoiden Daseins beizutragen – spielerisch bis anarchisch. „Nichts ist wie es scheint – und wo es scheint, da ist nichts.