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Régis Durand

Jürgen Klauke: Energie, Zeichen und Metamorphosen


Als ich begann darüber nachzudenken, in welcher Form ich der Einladung Peter Weibels folgen sollte, einen Beitrag für einen Katalog über Jürgen Klauke zu schreiben, erreichte mich die Nachricht vom Tod Pina Bauschs. Tatsächlich sind die beiden für mich in ihrer Suche nach radikal neuen Formen der Auseinandersetzung mit dem Körper und ihrer szenischen Umsetzung Ende der siebziger Jahre eng miteinander verknüpft. Dies ist natürlich eine sehr persönliche Empfindung, die auf theoretischer Ebene durchaus anfechtbar ist – so sehr, dass es tatsächlich absurd wäre, alle Argumente aufzulisten, die eine künstlerische Verwandtschaft entkräften würden. Doch scheint mir, dass aus dieser persönlich empfundenen Übereinstimmung auch einige Lehren gezogen werden können, welche einen besseren Einblick in die Arbeiten von Jürgen Klauke ermöglichen, insbesondere in einige seiner neueren Arbeiten.
Was letztlich rechtfertigt – wenn man vom persönlichen Eindruck absieht – zwei so unterschiedliche künstlerische Ansätze miteinander in Verbindung zu bringen, ist folgendes: Beide geben uns das Gefühl einer komplexen Erfahrung, einer Erfahrung, die sich nicht auf eine einfache Idee, Form oder ein einfaches Genre reduzieren lässt und die in Wirklichkeit das gesamte Werk durchdringt. Die Tatsache, dass Pina Bauschs Werk die Form einer öffentlichen Bühnenperformance (ihr „Tanztheater“) annimmt, und das Werk Jürgen Klaukes die eines „privaten Theaters“, welches einzig dazu bestimmt ist, ein unbewegliches oder bewegliches Bild zu konstruieren, ist natürlich nicht unerheblich (ich werde darauf zurückkommen). Aber im Vergleich zu einer gemeinsamen Erfahrung bleibt dies eher sekundär. Für mich sind die beiden wichtigsten Aspekte in diesem Zusammenhang zum einen die Bedeutung des oder der Dispositive, und zum anderen die radikalen Veränderungsprozesse, welche die Figur durchläuft, die Idee des Subjekts. Dies versuche ich hier zu skizzieren und will nun meinen Fokus mehr auf Jürgen Klauke richten statt eine Parallele weiter zu verfolgen, die, wie ich weiter oben erklärt habe, sich mir aufgedrängt hat, bei der jedoch Vorsicht geboten ist.

EINIGE DISPOSITIVE

In Pina Bauschs Tanztheater zerschellt die Idee eines konstituierten individuellen Subjekts in Bruchstücke, immer wieder entkräftet durch das Spiel der Dopplungen, der Umkehrungen, und der ihr auferlegten „Demütigung“ (so feinfühlig und komisch sie auch sein mag), deren Zeuge das Publikum wird. Dennoch trägt jedes dieser Bruchstücke den Keim größter Autorität und Beherrschung in sich. Die Eleganz der Bewegungen, der kraftvolle Charakter der Musik, die Präzision der Übergänge – all das zeugt von einer Bühnenreife, die nur durch ein sehr hohes Maß an Akribie und Expressivität erreicht werden kann. Resultat: Das Subjekt, so bruchstückhaft und labil es sein mag, wird von uns „einer anderen Lebenssphäre“ zugeordnet[1].

Bei Jürgen Klauke hingegen ist der Protagonist vollkommen von den Akten oder Haltungen, die er ausführt oder erduldet, absorbiert. Doch seltsamerweise (ich will sagen auch trotz der Seltsamkeit dieser Akte und Haltungen) befindet er sich in unserer „Lebenssphäre“. Was nicht bedeutet, dass wir uns in ihm wiedererkennen, sondern vielmehr dass er eine Vielzahl von Möglichkeiten vor uns ausbreitet, die uns betreffen und die wir nicht unbedingt als fiktionale Personen begreifen.

Gewiss stehen wir bei Klaukes Arbeiten einer Art privatem Theater gegenüber. Aber überraschend ist, was Michael Fried mit dem Begriff Absorption beschrieben hat – jene Fähigkeit des Protagonisten, sich nicht um den Zuschauer zu kümmern, ihn nicht wahrzunehmen, sondern sich vollständig auf eine bestimmte Aktivität zu konzentrieren. Und wenn er doch einmal in unsere Richtung schaut, weist er eigentlich eher in Richtung der Kamera, wie um sich zu vergewissern, dass die Haltung, die er gerade aufbaut, auch mit dem Bild übereinstimmt, das er vermitteln möchte – sowohl bezogen auf die äußerliche als auch auf die innerliche Wirkung.

Ebenso kann man zu der Ansicht gelangen, dass die große Anzahl von Aufnahmen in einer einzigen Serie den Übergang zum bewegten Bild zum Ausdruck bringt, oder zumindest eine Spannung zwischen der fotografischen Starre und dem Wunsch nach Kontinuität, nach kontinuierlicher Veränderung, im Laufe derer sich die Haltung entwickelt, herausbildet, Gestalt annimmt und eine Art kleine Geschichte erzählt. Ich sehe in diesen „Bildsequenzen“ den Beweis einer intensiven Absorption, in deren Mittelpunkt das rätselhafte Objekt steht, über den einzig der Titel der Serie Aufschluss gibt. Paradoxerweise kehrt sich jede noch so erhabene Theatralik in radikale Absorption um – ein Phänomen, das durchaus der Erklärung bedarf. Dies ist ebenso sehr auf den privaten Charakter der Inszenierung zurückzuführen (die sich klar von jeder Idee einer öffentlichen Performance distanziert) als auch auf die fotografische Natur seiner Arbeit, welche sich durch ihren elliptischen Charakter und das oben erwähnte Spannungsfeld zwischen Kontinuität/Diskontinuität auszeichnet.

Peter Weibel hat hervorgehoben, dass das Ergebnis „die Aufhebung der konstanten Identität“ ist, ein „multiples und polyvalentes Selbst“[2]. Ich bin dennoch wenig überzeugt von der Idee (die Peter Weibel von Gerhard Johann Lischka übernimmt), dass es sich um „den Entwurf eines Selbstbildnisses als Portrait der Gesellschaft“ handele. Selbst bezogen auf Klaukes frühes Werk sehe ich darin vielmehr den Aufbau eines komplexen Dispositivs, das über die Frage der individuellen oder kollektiven Identität hinausgeht.

Doch was genau ist ein Dispositiv? Gilles Deleuze gab folgende Antwort: „Zunächst ist es ein Strang, ein multilineares Ensemble. Es besteht aus Linien unterschiedlicher Natur“[3]. Der Verweis auf die Linie macht natürlich Sinn, buchstäblich wie metaphorisch gesprochen, wenn man an die Bedeutung der Verknüpfungen, der Fäden und Kabel in Jürgen Klaukes Welt denkt. Aber er gibt uns auch einen Denkanstoß, die Aporien der Identitätsfrage zu überwinden und sie als Prozess zu begreifen: Linien der Kraft, des Bruchs, der Flucht, der Variation.

Zwei neuere Werkserien, auf die ich gerne etwas näher eingehen würde, stehen beispielhaft für die bemerkenswerte Umsetzung dieser Funktionsprozesse.

In Ästhetische Paranoia zum Beispiel ist die überlange „Haarpracht“ Signifikant (und Operator) der Variation, indem sie das Subjekt in ein geometrisch variables Werkzeug verwandelt: Mal ist es Meister über dieses Anhängsel, mal wird es von ihm in ein Objekt verwandelt, eine Art lebende Skulptur. Verschiedene Arten des Werdens zeichnen sich ab und lösen sich auf: Tisch-Werden, Bett-Werden etc. Und manchmal verselbstständigt sich das Haar und scheint ein Eigenleben zu führen: tentakelartiges Wirrwarr, emporragende Säule, oder wütende Masse und unerbittliche Medusa in Ästhetischer Aufruhr. Eine ähnliche Rolle spielen die Kabel, die manch andere Serie dominieren, zum Beispiel in Experimentelle Neurose, oder die Linien und Leuchtspuren der Luftballons in Freiflottierende Episode und Parasympathischer Vorgang.

Die Titel jeder Serie haben natürlich eine humoristische Bedeutung (die komische, groteske Dimension von Klaukes Arbeiten kann nicht genug hervorgehoben werden). Aber sie stehen auch für Kernprinzipien, für das Erzeugen besonderer Zeichenregime. Ein Beispiel dafür ist Ästhetische Paranoia: Sie versucht – ähnlich wie die spiritualistische Fotografie des neunzehnten Jahrhunderts – die Spuren der Arbeitsenergien in der geistigen Welt des Künstlers sichtbar zu machen.

ZEICHEN UND IHRE PHANTOME

Deleuze und Guattari haben, wie zuvor bereits die großen Pioniere der Psychoanalyse des neunzehnten Jahrhunderts, mehrere Arten von Delirium analysiert, die jeweils einem Zeichenregime entsprechen[4]. Ich werde hier nicht näher auf diese Analysen eingehen. Ich möchte lediglich sagen, dass es keinesfalls darum geht, eine „Diagnose“ zu erstellen, sondern zu bestimmen, wie Zeichenregime funktionieren. Und dass die beiden wichtigsten semiologischen Systeme, zwischen denen sie unterscheiden, praktisch nie im Reinzustand funktionieren, sondern immer als Mischformen. Das erklärt, warum es von Vorteil ist, die dominierende Funktionsweise innerhalb einer Werkserie zu bestimmen: „Das erste Regime wird durch einen heimtückischen Beginn bestimmt, durch ein verborgenes Zentrum, das auf endogene Kräfte schließen läßt, die um eine Idee herum organisiert sind; dann durch die Entwicklung eines Netzes, das sich über ein amorphes Kontinuum erstreckt, eine ungreifbare Atmosphäre, von der noch das geringfügigste Ereignis erfasst werden kann…“[5]. Die Fotoserie, Klaukes häufigster modus operandi, bietet hier einen doppelten Vorteil: Jedes unbewegliche Bild hält eine Reihe von Momenten fest, die wie ein Tanz um den „zentralen Kern“ sind; aber ihre Sequenzierung, zeitlich und räumlich variabel, rekonstruiert eine verstörende, „flottierende“ Pseudo-Kontinuität, die in ihrer Entwicklung unvorhersehbar ist. So wird das Haar, oder das Durcheinander von Fäden oder Linien, das an seine Stelle tritt, zu einer geometrisch-variablen und vielseitig einsetzbaren Prothese. Der einfache Körper-Fortsatz wird, wie wir gesehen haben, zu einer eigenständigen Skulptur, dahingehend dass er sich vom Körper trennt oder sogar von ihm verschlungen wird. Denn auf manchen Fotos fehlt das Haar ganz, als ob es vom Flechtwerk verdaut worden wäre. Jedes Zeichen verweist auf zig weitere, die Identität des Subjekts gerät ins Wanken, das Gesicht erscheint in unregelmäßigen Abständen verschwommen, ganz so als ob es auf dem Wege der Verwesung wäre. In der Serie (oder vielmehr den „Episoden“) Freiflottierende Episode, wird der „Attraktor“ praktisch unsichtbar, die Stofflichkeit der Ballons löst sich in eine wallende Spur auf, ein Ektoplasma, das zweifellos an die Aussonderungen erinnert, welche die spiritualistische Fotografie des neunzehnten Jahrhunderts einzufangen versuchte. Das ist es also, was vom „Attraktor“ bleibt (Attraktiver Attraktor) – oder was vom Subjekt bleibt, von seiner Innerlichkeit, seiner „Seele“ oder seinem Gewissen.

Die Verwendung des Begriffs „Attraktor“ ist natürlich interessant. Deleuze und Guattari verwenden ihn häufig; er stammt aus dem Bereich der Chaosphysik, doch sie haben ihn ganz anders gebraucht. Aber selbst bei ihnen behält er etwas von der Chaos-Idee, die mit ihm assoziiert wird, und den Kräften (den „Attraktoren“), die auf das Phänomen wirken. Der Attraktor – sofern ich diesen überaus komplexen Begriff verstanden habe – ist das, was ein System „deterministisch chaotisch“ macht statt einfach nur „chaotisch“. Anders ausgedrückt, der „seltsame Attraktor“, wie er sich nennt, ist eine der Variablen (zusammen mit der Markierung des Kreises und dem Fixpunkt), die das Verhalten eines Systems begrenzen, das andernfalls vollkommen chaotisch wäre…

Ich habe keine Ahnung, wie weitreichend Klaukes Kenntnisse dieses (jedenfalls für mich) dunklen Zweiges der Physik sind. Aber ich kann mir gut vorstellen, inwiefern der Begriff Attraktor sein Interesse geweckt haben könnte (wenn er ihn aus diesem Grund gewählt hat), oder – falls dies nicht zutrifft – inwiefern er für seine Arbeit relevant ist (wenn er ihn aus anderen Gründen gewählt hat). Denn da wo der Körper sich allmählich auflöst und schließlich ganz aus dem Bild verschwindet, erinnern verschiedene Elemente an seine Anwesenheit, und sind gewissermaßen Zeugen seiner (wenngleich katastrophalen!) Wirklichkeit, oder vielmehr der Wirklichkeit seines Verschwindens. Was auch die Bedeutung der Verkabelungen in diesem Werk erklärt: In Experimentelle Neurose sehen wir, wie das Subjekt unter der Wucht der Ströme implodiert, die es zerstückeln, es in ektoplasmische Streifen auflösen, es buchstäblich aus dem Rahmen schleudern. Bisweilen scheinen die Ströme das Subjekt unwiderstehlich zu seinem Ursprung zu ziehen; all das wirkt wie ein erbitterter Kampf zwischen der „elektromagnetischen“ Kraft und den Wellen, mit denen sie es umschlingen, wie in Gegen den Tag. Das Steckdosenbild erscheint wie der Ort, von dem Kräfte mit einer solchen Anziehungskraft auf das Subjekt ausgehen, dass sie es buchstäblich verschlingen (Verdichtungsvorgang), bis schließlich nur noch diese Kräfte übrig sind – eine düstere und beunruhigende „elektrophysiologische“ Szenerie. Ist das Experiment gelungen oder missglückt? Oder sind diese Begriffe bedeutungslos, weil sie imstande sind, sich ins Gegenteil zu verkehren? Gab es einen „Exzess“ (an Intensität, Kraft), wie Elektrophysiologischer Exzess vermuten lässt? In diesem Fall existiert nur noch das System selbst – kalt, geordnet und triumphierend. Etwas hat möglicherweise versagt, weil zu viel oder zu wenig Energie geflossen ist. In Wackelkontakt ist das System eindeutig nicht mehr in Ordnung, es driftet ab in eine bizarre Nachbildung seines eigenen inneren Gefüges, bevor es vermutlich zum Gleichgewicht zurückfindet, sich selbst regeneriert und optimiert wie es intelligente Systeme in der Lage sind zu tun (Sich selbst optimierendes System).

Dies ist also eine mögliche theoretisch-narrative Sequenz, die den Zusammenprall verschiedener Kräfte und das darauf folgende Verschwinden beschreibt. Es gibt aber noch (mindestens) eine andere mögliche Sequenz. Jene nämlich, die das Subjekt selbst zur Energiequelle macht, eine Quelle, an der man beispielsweise eine Glühbirne anschließen kann, wie in Intern generierter Suchprozess. Oder die entfernte Objekte bewegt (wie in Vorstellung/Distanz). Treiben und schweben – ein großer Traum, der Klaukes Arbeiten von Anbeginn an begleitet hat…

Diese „elektromagnetische“ Energie wird in den Fotoarbeiten, wie wir gesehen haben, durch „Aussonderungen“, „Wellen“ oder „milchige Spuren“ sichtbar gemacht, die das Subjekt wie ein verschwommenes Kräftefeld umgeben, stark genug jedoch, um den Film zu belichten. Manchmal, wie in Reiz Reaktionssystem, sind diese Spuren unsichtbar, haben aber dennoch eine große Wirkung: Gegenstände fliegen, und der Körper wird von einer Energie, die ihn in wildem Tanz mitreißt, aus dem Gleichgewicht gebracht. Schwer zu sagen, welche Grundstimmung diese Werke genau dominiert, welcher Art die „Kommunikation des Künstlers mit sich selbst“ ist. Bei Antonin Artaud beispielsweise war dieser „leuchtende Punkt, an dem sich die ganze Wirklichkeit wiederfindet, aber verändert, verwandelt“ Gegenstand langer und äußerst gründlicher Selbstanalysen, die schließlich den Kern seines Werks bildeten[6]. Jürgen Klauke hingegen analysiert vielmehr mit Hilfe einer Physik und einer „Elektrophysiologie“ der Seinszustände als über die Psychologie. Das Subjekt ist ein Terminal mit unzähligen Anschlüssen. In diesen bemerkenswerten Werkserien begreift man schnell, dass die Technologie, sofern vorhanden, rudimentär ist, kaum mehr als ein Träger, durch den das Subjekt unendlich viele Veränderungen und Schwankungen erlebt, um so mehr als es seine Ängste und Neurosen immer wieder überwältigen – seine geliebten Neurosen, die es von Anbeginn begleitet haben, und die es über verschiedenste Dispositive inszeniert. Rudimentäre Technologie also, aber im Dienste einer erstaunlich aktuellen und völlig unpathetischen Feststellung: Der Mensch ist nur ein Element unter vielen in weiten integrierten Systemen, ein Element, das ebenfalls „optimierbar“ ist, bis es keinen Widerstand mehr leistet und möglichst reibungslos funktioniert, auch auf die Gefahr hin, vom System vernichtet zu werden.

Es gibt natürlich auch eine düstere Lesart dieser Arbeit, aller innewohnenden Komik und allem Humor zum Trotz. Doch ich sehe darin eher das (zeitweilige) Ergebnis einer langen Serie von Experimenten an und mit dem Subjekt, mit seinen gegensätzlichen Polen, seinen Anschlüssen, seinen Aussetzern („Proust hat das ‚zeitweilige Aussetzen‘ des Herzens beschrieben; man müßte jetzt das des Seins beschreiben“)[7].
Was aber ist von den Videos zu halten, denen an anderer Stelle eine weit umfangreichere Abhandlung gewidmet werden sollte, und die den Anschein geben könnten, eine Form von Kontinuität einzuführen (während die Fotografie mit dem Schnitt und dem Nicht-Präsenten arbeitet), eine Form von Simulation der direkten Erfahrung? Die dem Körper zur Verfügung gestellte Zeit erscheint wie eine Möglichkeit des Widerstands gegen das bevorstehende Blitzlicht des Fotoapparats. Im Video erlangt der [von Deleuze geprägte][8] Begriff des „Nomadisierens auf der Stelle“ seine Bedeutung: Nichts ist allgemeingültig, nichts ist sicher (der Begriff der Unsicherheit spielt bei Klauke eine große Rolle). Aber in dieser kurzen Zeitspanne, diesem kleinen Zeitfenster, könnte etwas geschehen. Es erinnert uns an jene besonderen Momente, auf die Kleist seine Aufmerksamkeit gerichtet hat, und in der die „Durchlässigkeit zwischen der physischen und moralischen Welt“ sichtbar wird. [9]

Übersetzung aus dem Französischen von Caroline Rosique

[1] Ich übernehme den Ausdruck von Michael Fried: „Jeff Wall, Wittgenstein and the Everyday“, in: Why Photography Matters as Art as Never Before, Yale University Press, New Haven, 2008, S. 63-93. Der später verwendete Begriff Absorption wird eingehend behandelt in: ders., Absorption and Theatricality: Painting and Beholder in the Age of Diderot, University of Chicago Press, Chicago, 1988.
[2] Peter Weibel, “Klaukes Kunst zwischen subversiver Körperpolitik und performativen Akten”, auf Deutsch erschienen in: Absolute Windstille. Jürgen Klauke – Das fotografische Werk, Ausst.-Kat, Bonn/St. Petersburg/Hamburg, Kunst- und Ausstellungshalle der BRD, Bonn, 2001, S. 64.
[3] Gilles Deleuze, „Was ist ein Dispositiv?“, in: Schizophrenie & Gesellschaft – Texte und Gespräche 1975-1995, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2005, S. 322-331. Für eine strengere freudianische Analyse des Begriffs sei auf die Schriften Jean-François Lyotards der siebziger Jahre hingewiesen, so zum Beispiel auf Des dispositifs pulsionnels, 10/18, Paris, 1973, und insbesondere auf den Essay „Die Malerei als Libido-Dispositiv“, auf Deutsch erschienen in: Sibylle Omlin/Beat Wismer, Das Gedächtnis der Malerei – Ein Lesebuch zur Malerei im 20. Jahrhundert, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2000, S. 329-335. Dieser Essay hat auch meine eigene Überschrift inspiriert: „Das Wichtige ist die Energie, sofern sie Umwandlung, verwandelt und umgewandelt, ist, …“ (ibid., S. 331).
[4] Gilles Deleuze/Félix Guattari, „587 v. Chr. – Über einige Zeichenregime“, in: Tausend Plateaus, Merve, Berlin, 1992, S. 155-205 und insbesondere S. 162-168.
[5] Ibid., S. 166-167.
[6] Antonin Artaud, „Nervenwaage“, in: Bernd Mattheus, Frühe Schriften, Matthes & Seitz, Berlin, 2001, S. 85. Ich verweise auch ganz allgemein auf „Der Nabel des Niemandslands“, ibid., S. 45-75, und „Nervenwaage“, ibid., S. 77-101.
[7] „Korrespondenz mit Jacques Rivière“, ibid., S. 41.
[8] Anmerkung der Übersetzerin.
[9] Ich beziehe ich mich hier auf einen Essay von Antonia Birnbaum, „Kleist sténographe. Une anecdote politiquement explosive“, in: Retour d’y voir, 1-2, MAMCO/Les Presses du Réel, 2008. Die Autorin stützt sich vor allem auf einen Text von Heinrich von Kleist, „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“, in: Werke in einem Band, Carl Hanser, München, 1966, S. 810-814. Bemerkenswert ist übrigens auch Kleists Essay „Über das Marionettentheater“, ibid., S. 802-807.