Hans-Peter Wipplinger

Reisen in die ungeheuren Weiten von Leere, Raum und Stille


Museum Moderner Kunst Passau (Hg.)
Jürgen Klauke, Hoffnungsträger. Aspekte des Desaströsen Ich
2006


Jürgen Klauke hat bereits in den 70er Jahren durch einen klaren konzeptionellen Ansatz und eine signifikante Ästhetik einen bedeutenden künstlerischen Beitrag geliefert, der durch seine Fotografien, Videoarbeiten und Performances eine Veranschaulichung von abstrakten gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten nach sich zog. Seine Arbeit lenkt den Blick von äußeren Erscheinungen auf elementare innere Merkmale von Wesenheiten. Er legt damit Spuren zu anderen Identitätszuschreibungen und einer erweiterten Repräsentationsdebatte.

Eine zentrale Rolle spielt dabei die Positionierung (Anwesenheit und Abwesenheit) von menschlichen und/oder objekthaften Körpern in Räumen. Hinter Gesten und Haltungen seines Personals sowie hinter dinghaften Existenzen unterschiedlichster Natur verbirgt sich eine unsichtbare Zone von Ich, Über-Ich und Unbewusstem. Klaukes Werke legen damit einen Zusammenhang mit den Themen- und Fragestellungen der Psychoanalyse nahe, weil er mit den dunklen Bereichen arbeitet, die zwischen dem Ausgedrückten und Verborgenen, zwischen Schein und Sein angesiedelt sind und dadurch das Verhältnis von Körper und Identität erkundet. Der Künstler propagiert in seiner Arbeit das Modell der multiplen Subjekte mit zweideutigen Wesenseinheiten und kritisiert die eindimensionale Darstellung von Ich-Positionen.

Klauke zeigt die Menschen in ihrer tiefen Unsicherheit und ihrem Ausgeliefertsein in einer von Unwegbarkeiten definierten Welt. Auf poetisch anmutende Weise formuliert und thematisiert er gesellschaftliche wie individuelle Strukturen: Aspekte der Isolation, des Scheiterns, des mühsamen Zurechtfindens in einer von Eros und Tod dominierten Welt. Radikale Reduktion und formale Klarheit zeichnen die präzise inszenierten fotografischen Kompositionen aus. Die Bilder zielen auf Konzentrationsschaffung durch Raumeingrenzung und Zeitverdichtung ab. Dichotomien wie Bewegung und Stillstand, Distanz und Nähe, Oben und Unten, Bleiben und Vergehen, Anspannungen und Entspannungen etc. tauchen in Klaukes Arrangements in verschiedenen, sich konstituierenden und wieder auflösenden, Szenen auf und suggerieren im Betrachter Eindrücke einer enigmatischen Welt.

Gerade in der Intensität dieser destillierten Momente steckt viel Verborgenes an psychologischer, seelischer und intellektueller Äußerung. Die außergewöhnliche Gegenwart der Leere seiner nackten Bildräume evoziert nicht nur eine hohe Aufmerksamkeit auf „Bildtext“ bzw. Bildstruktur, sondern löst dadurch auch einen freien Fluss an Phantasien und Denkprozessen aus. Durch Klaukes konsequente Reinigung des Bildraums liegt der Fokus auf der menschlichen bzw. dinghaften Existenz. Die alogischen Szenerien erscheinen dergestalt in einem undefinierbaren Raum, in einer unbestimmten Zeit sowie zum Teil in der vollkommenen Auflösung einer Handlung. Auf diese Weise führen sie jede magisch erscheinende Einzelheit in eine andere Ebene des Daseins über.

Klaukes äußerst einprägsamer Bilderkosmos ergibt sich nicht zuletzt aus der Stille und Leere, mit der er die Erscheinungen des Lebens oder der Welt der Dinge oft sichtbarer und lebhafter macht, als es unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit vermag. Der Zweifel an den herkömmlichen, rationalistischen Kultur- und Denksystemen schlussfolgert die Konsequenz über die Erkenntnis der Lebens- und Seinsabsurdität und macht dadurch seine Protagonisten zu eigenwilligen Anti-Helden. Das wechselseitige Durchdringen von tragischen, komischen und grotesken Elementen, die ständige Verkehrung von Hierarchien, die Umwertung von Werten und Gegenständen, die Andeutung von Ängsten und Obsessionen, von Ausgedrücktem und Verheimlichtem etc. steht für eine anarchische Gegenwelt Klaukes, in der er bestehende Ordnungssysteme subvertiert bzw. relativiert und dadurch neue Wahrnehmungsmodelle schafft. Besonders in Klaukes gespenstischen Stillleben mit Gegenständen (z.B. „Ästhetische Schmierstelle“) erhalten die Dinge ein eigenwilliges Eigenleben, vermitteln andere Bildinformationen als die ihnen Zugeschriebenen und generieren so visuelle Zeichensetzungen, die ihren herkömmlichen Repräsentationsbegriffen nicht entsprechen.

Klaukes „Forschungsreisen“ im für ihn signifikanten Bildraum erinnern vielfach an Klassiker des absurden Theaters wie etwa an Eugène Ionescos tragische Farce „Die Stühle“. In dieser Parodie des Scheiterns, also im Sinne einer ausweglosen Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz, geht es um den Glauben, dass man der Welt scheinbar eine Botschaft mitzuteilen hätte, man jedoch an dieser Fragestellung scheitern muss, und dennoch im Erkenntnisstreben nichts anderes übrig bleibt, als Fragen zu stellen und seine Sicht der Welt zu formulieren. Klauke lässt in seinem leergefegten, aber atmosphärisch dadurch umso dichteren Aktionsraum alles Überflüssige weg und schafft Raum für die phantasievolle Vorstellungskraft des Betrachters.

Seine entindividualisierten Gestalten erzählen über die Leere des Lebens und die Entfremdung des Menschen von sich selbst. Fremdheit, Andersheit und Isolation erhalten so in Klaukes Werk eine inhaltliche Dimension und ästhetische Manifestation als grundlegendes Problem moderner Gesellschaften in einer globalisierten Welt. Genau diese (Un-)Möglichkeit einer globalen Perspektive, in der ein zunehmender Horizontverlust herrscht, erinnert an die jahrhundertealte Allegorie des Welttheaters. Die Vorstellung der Welt als Theater mit all seinen Katastrophenerfahrungen und Brüchigkeiten von soziokulturellen Ordnungsmustern wirft entscheidende Fragen auf: Nach dem Verständnis von Geschichte, der Position des Subjekts und ihrer Einbindung in kosmische Zusammenhänge. Klaukes Fototableaus thematisieren diesen Sinnverlust – „diese Entzauberung der Welt“ (Max Weber) – durch seine ihm eigenen ästhetischen Verfahrensweisen und bilden so einen Ort der Verhandlung und Vergegenwärtigung existentieller Probleme.

Das Personal, das in meist dunklen Räumen eingebettet ist, wirkt durch die um sie herum schwindenden Raumgrenzen wie isolierte, zuweilen gelangweilte Marionetten. Zusammen mit Tischen und Stühlen, mit Eimern und anderen Behältnissen oder ballonähnlichen Körpern, die mal in sich statisch ruhend, mal stehend, liegend, hängend oder schwebend im Raum gezeigt werden, stellen sie immer wiederkehrende Versatzstücke für Klaukes Schaffen von irritierenden und mysteriösen Bildräumen dar. Die Szenerie erscheint unwirklich, das Geschehen im Bild weist den Untergrund (Boden) als zentralen Bezugsparameter für Handlungen und Erfahrungen im Positiven (Halt, Erdung) wie im Negativen (Begrenzung, Zwang, Unfreiheit) aus. Die fotografisch eingefrorenen Manifestationen Klaukes lassen sich somit auch als Metapher für das An-die-Grenzen-Stoßen des existentiellen Seins menschlicher Kreaturen lesen. Klauke ist hier mit manchen Bildkonzeptionen (z.B. „Dingtücke“ oder „Bewusstseinserweiterung“) ganz nahe an Wittgensteins persönlicher Grundstimmung: „Dauernd stolpert und fällt man, stolpert und fällt, und man kann sich nur selbst aufheben und versuchen, wieder weiterzugehen.“

Der Klauksche Hoffnungsträger scheint uns mit seinen partiellen Anklängen von romantischen Ironisierungen geradezu Mut machen zu wollen. So als möchte er uns – im Sinne der Romantiker – aufrufen, den Bruch, der die Welt gespalten hat in Vernunft und Gefühl, in Traum und Wirklichkeit, in Wissenschaft und Poesie, etc. wieder in ein harmonisches Ganzes zusammen zu führen. Jedoch ist er sich der „transzendentalen Obdachlosikeit“ (Georg Lukács) vollkommen bewusst und reagiert auf die Welt-Anschauungssuche mit den ästhetischen Verfahren der Groteske und des Clownesken.

Dem menschlichen Desaster, wie überhaupt dem existentiellen Fiasko, begegnet Klauke folglich weniger auf eine Art des Existentialismus, eben nicht pessimistisch oder gar nihilistisch, sondern auf eine grotesk-ironische Weise, die an die Beckettsche paradoxe Dialektik erinnert: „Wenn ich falle, werde ich weinen ... vor Glück.“ (Clov in Becketts Endspiel) oder „Nichts ist komischer als das Unglück (...).“ (Nell in Becketts Endspiel). Seine Protagonisten reagieren – symbolisch betrachtet – auf die tragische Ausweglosigkeit vielmehr mit einem stoischen Lächeln. Klaukes kraftvoll-sensible Bildkompositionen sind beeindruckende Zeugnisse der Einsamkeit und Leere und haben ein außergewöhnliches Potential, Aspekte des menschlichen Daseins zu reflektieren. Sei es nun mittels Körpersprache (minutiös ausgearbeiteter Gestik, Haltung, Mimik), dem Umgang mit Licht oder der Verwendung fein nuancierter Farbskalen und v.a. durch die Positionierung von Objekten und Subjekten im Bildraum. Je nach verwendetem Dingvokabular schafft Klauke einen Bilderkosmos aus dem Fundus der Vergangenheit oder aus unerwarteten visionären Quellen und macht so die Vergangenheit und die Zukunft zu Fragmenten der Gegenwart, wobei oder gerade weswegen Raum und Zeit der Aktion unbestimmt bleiben.

Ein weiterer Aspekt, der sich neben den ästhetischen Erkundungen des Raumes und den philosophischen und psychologischen Untersuchungen von Wirklichkeiten in der Bildbetrachtung Klaukes aufdrängt, ist die Auffassung von Skulptur, die sich nicht nur auf seine Hänge- oder Bodenskulpturen bezieht, sondern auch auf die fotografisch “eingefrorenen“ Menschenskulpturen Bezug nimmt. Indem Klauke nur scheinbar prozessorientierte Handlungsformen – die in Wirklichkeit komponierte Konzeptionen sind – fotografisch zu statischen Objekten transformiert, werden bestimmte Erscheinungsformen von Subjekten und Objekten erst auf andere Weise anschaubar und die ihnen immanenten Vorgänge bzw. Korrespondenzen zwischen Dingen und Menschen neu verortbar gemacht.

Hinter der Organisation von Räumen und Denkräumen liegt das Klauksche Interesse an der Condition Humaine, am menschlichen Schicksal und seiner Sinnsuche. Eben diese Beschreibung – des über Jahre bereits andauernden, in verschiedenartig ästhetischen Ausformulierungen vorliegenden Themenzyklus – des „Desaströsen Ich“ hat mit Klaukes nicht enden wollender Suche um Wahrnehmung und Sinnkonstruktion zu tun, mit der er ästhetische Formalisierungen der „verkappten, wahnsinnigen Existenz“ (J.K.) erkundet.