Brigitte BorcHhart-Birbaumer

Antifaustus Jürgen Klauke oder stirbt das Genie in schwarzer Anarchie?


Museum Moderner Kunst Passau (Hg.)
Jürgen Klauke, Hoffnungsträger. Aspekte des Desaströsen Ich
2006


Doktor Faustus, Deutschlands berühmtester Gelehrter, hatte sich mit der schwarzen Magie, nächtlichen Frauen und mit dem Teufel eingelassen. In der ständig -beleuchteten Studierstube schaffend, ist er die Paradegestalt des männlichen
Genies, dem durch Nachtfleiß und schöpferische Melancholie das Licht des Geistes leuchtet.2 Die -Über-strapazierung dieses Männertypus kam mit den schwarzen Armeen und -nächtlichen Passagen pervertierter Wissenschaft der Nationalsozialisten.
Aber auch die Nachkriegszeit bediente sich weiter der Lichtbringermetapher,
nun aus der Politik in die Kunst verschoben – ob sie als die einzig wahren
Führergestalten durch die Finsternis vorangegangener Irrtümer auftraten wie
Joseph Beuys oder als Märtyrer an der bürgerlichen Gesellschaft, die mit Unwissen reagiert, wie die Aktionisten.3 Es blieb der nächtliche Mythos vom wundertätigen Schöpfer, der sich gnostisch als Sonne über die Finsternis von Natur und
Vergangenheit erhebt. Alle Lichthelden und elitären Melan-choliker, Weisen in
Atelier und Studierstube, benötigen als Differenz feindliche -„Dunkel-männer“
(obscuri viri ist ein Begriff des Reformators Rechlin). Als ein solcher schwarzer
Mann für die Künstlerschaft wie die Kunstgeschichte zerschneidet Jürgen Klauke
das Band mit der Last des Erhabenen.
Er tut dies in mehrteiligen Arbeiten, die jene nächtlich-einsame Tätigkeit des -Lukubranten (Nachtfleißigen) aufs Korn nehmen, und seit den Siebzigerjahren klar einen neuen Künstlertypus einfordern. 1996/97 hat er in blaugrau getonten
Fotografien mit dem Titel „Desaströses Ich“ zwei Phasen eines auf der Bühne gelandeten, schwarz gekleideten „Deus ex machina“ beschworen. Im ersten Bild ist dem als Gott der antiken Bühne an Schnüren in den Bühnenraum Gehängten das Equilibrieren zweier Eimer fast zum Veitstanz geworden. Im zweiten ist die Bewegung eines stummen Schreis angesichts des Inhalts zweier medizinischer Schüsseln fraglicher Aspekt. Die den Gott am Himmel haltenden Seile baumeln herab, ein Gefühl zwischen Lächerlichkeit und Pein-lichkeit macht sich breit. Die zweite Bedeutung von Platons Bezeichnung für die Theaterfigur „Deus ex machina“ als die „unerwartet glückliche Lösung einer Schwierigkeit“ ist mit einzubeziehen. Was neben der -demokratischen Möglichkeit des Betrachters, das Doppelbild frei zu interpretieren, bleibt, ist das der Düsternis nahe Gefühl der Ratlosigkeit.
Im Blick auf einen früheren Zyklus, „Das ewig Männliche als ewig Langweiliges“ (1980/81), fällt die mitwirkende Intention des Titels auf, auch wenn nicht immer die Parallele von Wort und Bild intendiert ist. Das ewig Weibliche, das uns (den Menschen und somit nur den Mann) als Finale in Goethes „Faust“ hinan zieht, ist zur Pornografie herabgewürdigt. Den Unterwerfungsgesten einer Frau mit zwei Männern ist ein ein-schlägiger Film auf einem die altarhaft zusammengestellten Szenen begleitenden Bildschirm zugeordnet. Das dreireihige Flügelaltar-Ensemble benötigt dazu nur zwei Stühle auf einem schmalen, wenig beleuchteten Bühnenstreifen. Als Schreinwächter sind die Monitore mit dem wiederkehrenden Fellatio-Motiv allein auf den Möbeln
situiert und in der Mitte haben die beiden Männer die Frau übers Knie gelegt und den laufenden Monitor auf ihren Unterleib gestellt. Alle drei bilden eine erweiterte
Pietàszene, vieldeutig freilich durch die Opferung der Frau statt des christlichen
Mutter-Sohn-Leitmotivs. Der Aufstand gegen den zerstörerischen Männlichkeitswahn, der die Kunst von Richard Wagner bis weit nach dem Nationalsozialismus beherrscht, ist hier durch übersteigerte Rollencodes, durch heitere Dekonstruktion von Klischees, endlich gebrochen. Friedrich Nietzsches Priesterkünstler als dunkler Wundertäter
von Gottes Gnaden gehört in Klaukes Werk damit seit Ende der Sechzigerjahre der Vergangenheit an.4
Allerdings hält die Polyvalenz der Postmoderne an alten Nachtmetaphern fest: Nicht eindeutig gibt sich Schwarz als eine wesentliche Farbe der radikalen Moderne. Es suggeriert Erhabenheit und Leere, Kosmos und Apokalypse und das vor allem in einem pathetisch männlichen Aspekt in der New York School nach 1950. Schwarz sein können aber auch der Humor und die Anarchie, und da meldet sich Europa ab 1960 wieder zu Wort. Manchmal ist dann die Reaktion ein Anschwärzen jener Schwarzmalerei, eine Ablehnung von deren Theatralik: Der „Deus ex machina“ wird in Klaukes ganzer Werkgruppe „Desaströses Ich“– mit dem zweiten Titel „Trost für Arschlöcher“– zur Marionette, die Waschschüsseln suggerieren klinische Momente großen Unbehagens. Dies ist auch in der dreiteiligen Fotoarbeit „Seinstrübung“ (1996/2000) zu finden, und darüber hinaus stellt der Künstler die mittels Fotografie am besten vermittelbare rasende Bewegung dar. Die Diskrepanz zwischen jener hell erscheinenden Verwischung des Stillstands und dem dunklen, schmalen, aber gleich bleibend undefinierten Raum bildet einen der Angriffe auf heroisches Pathos.
Zwei der Serien aus dem letzten Jahrzehnt nehmen die in den Siebzigerjahren
thematisierte Konstruktion von Geschlecht in rot getönten Fotoarbeiten wieder auf: „Entscheidungsnotstand“ (1996/97) und „Bewußtseinserweiterung“ (1996/2000). Klauke platziert die Frau ohne Widerstand als ein durch Tische stapelbares Gut austauschbar mit männlichen Modellen. Die Einsamkeit der Darsteller ist neben verstärktem Schattenspiel durch niedrigen, seitlichen Lichteinfall besonders durch die Reduktion auf das Fleischliche gegeben. Dazu verstärkt die rote Tonung das Gefühl, vor vermeintlichen Schlachtbanken für zukünftige Klone zu stehen. Die Schwarzkunst der vorwissenschaftlichen Alchemie ist hier der Technikgläubigkeit der Reproduktionsmedizin gewichen.
Die düstere Stimmung von Isolation setzt durch die Bauten von Tischtürmen fort, was 1990/92 ein verhüllendes schwarzes Kleid in „Heimspiel“ mit einem seltsam -beziehungslos verflochtenen Paar vermochte. Möbel, Maskierung und Verfremdung – entsprechend einer anspielungsreichen Sprache mit Beifügungen – führen zu einer manchmal parodistisch anmutenden Konfrontation scheinbar erhellender Inhalte. Eindeutigkeit wird hier verworfen, die Interpretation ist vielschichtig, um dem traditionellen Wunsch nach einem Lichtblitz aus dramatischer Schwere des Dunkels Absagen zu erteilen. So ist auch der akrobatische Akt in der rot getonten „Bewußtseinserweiterung“ dem wechselvollen Scheitern einer unruhigen und von labilen Stellungen gekennzeichneten Annäherung gewidmet. Die Frau verschwindet oder suggeriert eine Aufbahrung unter dem von einem bewegten Tischmöbel darüber nach links kippenden Mann.
Um die starre Wirkung einer völlig abgedunkelten Bühne ging es in einem Foto-Triptychon gleichen Titels von 1984/86; diese erste „Bewußtseinserweiterung“ -integrierte damals die Protagonisten als Lampenträger. Mit Stirnlampe erscheint der nachdenkliche Fotograf zu dieser Zeit im zweiten Bild von „Very de Nada“, das Kinn in die Hand gestützt, im alten Melancholiegestus. Dabei hat er ein sinnendes und ein verschlossenes Auge: Da meint man an den die Sixtinische Decke mit Stirnlampe malenden Michelangelo und auf seine nächtliche „terribilità“ verwiesen zu sein. Doch sprach noch Theodor Adorno vom geistesabwesenden „Bergmann ohne Licht“ (die Künstler wie Intellektuellen während und nach der Diktatur aufrüttelnd) und verband diese Aufklärungsmetapher gnostisch mit der mittelalterlich-christlichen Vorstellung eines Daseins in der schwärzesten aller Welten. In „Very de Nada“ zeigt uns das erste Bild ein Paar, das seine lederbekleideten Hintern in Richtung Betrachterin streckt, um verkehrt und gebückt heraus zu fotografieren. Da ist nicht nur die Betrachter-Bild-Situation umgedreht, die beiden Darsteller wollen auch mit der Kamera ins schwarze Auge des Betrachters treffen. Da stellt sich das Medium Fotografie schwarzsehend selbst dar. Dagegen ist im Titel Nada, das Nichts, angesprochen wie es auf einem Blatt der „Desastres“ von Francisco de Goya geschrieben vorkommt. In der Schwarzkunst
der Druckgrafik versinkt dort eine Frau, zerfällt zurück als Staub zur Erde, ins lichtlose Schwarz, das Goya in die Moderne einführt. Die Erinnerung an die Zeit der -französischen Revolution kommt nicht von ungefähr, denn sie trennte abstrakten Körper und -rationales Subjekt. Die nachher wieder aufgehobene Differenzierung von Sex und Geschlecht ist eines von Klaukes Leitthemen, bevor über das „Unbehagen der -Geschlechter“ geschrieben wurde oder Michel Foucault die Forderung stellte, Sex
zu historisieren. Manche Aktion ist zu Recht als bildnerische Voraussage radikaler Umbrüche in der Gesellschaft bezeichnet worden.5
Die Heiligkeit und die Einsamkeit des dunklen Eros, als schwierige Gleichung nach Georges Bataille, beschwören eine Nachbarschaft zu den verzweifelten und gequälten Versuchen einer „Annäherungsakrobatik“, die in zwei Einzelfotografien und in sechs Teilen 1996-2001 entstanden ist.6 Klaukes Aktionen im dämmrig dunklen Atelier als Bühne sind dabei nie Theater des Selbst, sondern Theater des Sozialen, sie decken mit scheinbar narzisstischer Manier sexuelle Tabus auf und gehen bewusst an die Grenzen der bürgerlichen Moral und des so genannten guten Geschmacks. Minimale Notate, Bewegungen oder auch die Requisiten irritieren beträchtlich, weil sie in jener -magischen Atmosphäre schwarzen Humors – als Grundlage der Anarchie – stattfinden, die Erkundungen von Abgründen im Normalen zulassen. Bezogen auf das Schwarz und die Nacht, kann aber natürlich auch das absurde Theater eines Samuel Beckett oder Eugène Ionesco, dazu Antonin Artaud und der Surrealismus, nicht vergessen werden.
Die Entscheidung für monumentale Fotoformate oder vielteilige Ensembles ab den Siebzigerjahren war nicht nur neu, sondern hat malerische wie skulpturale Aspekte
auf das heute beliebteste Medium junger Künstler übertragen. Der Körper, in der
Aktion als plastische Qualität genützt, bildet im Foto eine neue Gleichung zwischen den Medien der Kunst. Klauke hat schon sehr früh von der quasi dokumentarischen und beiläufigen Fotoausarbeitung zu einer konzeptuellen Inszenierung gewechselt. Serie, monumentales Format, Monochromie und Symmetrie zitieren Leitmotive des abstrakten Expressionismus und des Minimalismus. Fotografie wird bei ihm Modell für Malerei. Allerdings erlauben seine Konzepte es nicht mehr, Bilder in üblicher narrativer Leserichtung zu erfahren. Ihr Neben- und Untereinander impliziert wie in den komplexen Strukturen konkreter Poesie auch ein Quer- und Zurückschauen, allerdings unter dem wesentlichen Aspekt des Räumlichen.
Wortspiele sind wesentlich – Anfang der Neunzigerjahre taucht die Schwierigkeit, Dinge unter einen Hut zu bringen, bildlich auf. Das ist nahezu eine Umkehrung der -„Buchstäblichkeit“ minimalistischer Konzepte in selbstdarstellerischen Bildern.
Nicht um die Person des Künstlers geht es, sondern um konsequente Untersuchungen aller Fähigkeiten des eigenen Mediums. Im „Entrückungserlebnis“ (1990/92) sitzt er im schwarzen Anzug auf einem Stuhl, der auf einen Tisch gestellt, erhöhten Platz bietet
für den friedlichen Hirten (mit Stab) oder den Wächter, behüteten in sich gekehrten Melancholiker, und schließlich einem männlichen Wesen mit Brettern (Schemel) vor dem Kopf. Dass die Hälfte der Menschheit (die Frauen) von solchen pseudoreligiösen Sensationen des Künstlerischen ausgeschlossen werden, hat Klauke schon scharf 1982 mit „Sogenannte Männerfreundschaften“ in Frage gestellt. Das „Entrückungserlebnis“ wird zu einem wunderbar ablesbaren Strafgericht für alle, die noch immer jene erleuchteten Genies aus dem Dunkeln der Bruderschaften von Wagner bis Hitler fortgesetzt sehen wollen. Der Künstler nützt die Mittel der schwarz gekleideten Priesterkünstler mit vermeintlichen Macho-Allüren, um sie in nächtlicher Dramatik mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen.
Bildsprache kommt jedoch auch aus dem verrätselten Dunkel in unserem Inneren.
Der Mensch als Nacht der Welt. Schon in einer von Hegels Jenaer Vorlesungen von 1805 ist diese Anspielung auf das leere Nichts, die Nacht, die man in der Pupille des -Menschen erblickt, erstmals beschrieben.7 Nicht nur die meist neutral schwarze Hintergrundfolie oder die Requisiten des traditionell alltäglich Männlichen – Maske, dunkler Anzug, Melone, Schirm, Spazierstock und anhaltend Tische und Stühle – haben klaren Bezug zum Schwarzraum Bühne (auch der des Kinos), sondern auch der Körper. Dabei tritt der Künstler seit 1969/70 nur mehr ohne Publikum für den Fotografen auf. Die kalkulierte Aktion mit Modellen ist schon in Hinsicht auf eine nachträgliche Wahrnehmung des Betrachters konzipiert.
Die Hoffnung auf Reinigung durch die Kunst, angedeutet durch weiße Kissen, -Badewannen und Besen, ist nur noch Topos wie das Licht des Denkens im einsamen nächtlichen Atelier. Auch wenn die „Daseinsrenovierung“ (1996/97) übertriebene Bewegung als rituellen Kampf, im Sinne der Anfänge im antiken Theater, suggeriert, können keine Bezüge zum Drama gefunden werden. Die schwebende Person löst sich schließlich in den bewegten Kissen auf.
Die schwarze Hölle der Anarchie überträgt sich auf die Möbel oder früher Schirme und Stöcke, aber auch auf jenen, in rezenten Werken wesentlichen, schwarzen, meist von der Decke hängenden und mit einer Flüssigkeit gefüllten Sack oder Beutel, ein -eigentlich nur als unheimlich definierbarer Gegenstand. Tränenförmig und doch auch mit einer organischen und damit sexuellen Konnotation beladen, tritt dieses pendelnde, sich scheinbar ausdehnende Objekt ein rätselhaftes Eigenleben an: Diese dunkle Materie wehrt sich in „Dingtücke“ (2003). Und der Künstler fällt durch seine Pendelschläge in der 8-teiligen Serie fast rechts aus dem Bild. Seine Equilibristik bringt ihn
in Gefahr, aus dem künstlerischen Akt oder Spiel eliminiert zu werden, lässt ihn aber schließlich doch (scheinbar) triumphieren und mit dem Körper jenes Ding -überschneiden. Damit verdeckt er dieses „Es“ nur. In einem dunklen Raum, „Endlich“ (in Viererfolge von 2003), tanzen die unheimlichen Pendel für sich allein und formieren sich in Langzeitbelichtung zum flüchtigen Umriss der Ziffer 8. Minimalistische Präzision oder nächtlicher Rekurs auf eine Art Hexeneinmaleins?
Stühle kommen auch als Requisiten der Erhöhung, eine Auszeichnung für Auserwählte, in Frage. Als „Hoffnungsträger“ (2003) ist der schwebend schaukelnde Stuhl aber auch Hinweis auf die tragische Abwesenheit und das Blindsein des Menschen. Zum einen bleibt eine „Gemütsverfassung“ der Tische, deren Aura oder Krise, aber auch ein animalisches Verhalten dieser scheinbar magisch animierten Dingwelt im undefinierten Schwarzraum möglich. Zum andern ist die komplizierte Stapelung der Möbel in „Ästhetische Schmierstelle“ (1996/97), im Austausch von zusätzlichen Rollen und Winden, einer zwanghaften Geometrie unterworfen, die wie ein unvermeidbares Gesetz anmutet. Dieses geradezu minimalistische „Gottesurteil“ betrifft auch die sechsteilige blaugrau getonte Fotoarbeit „Skulptur.“
Das Fehlen von Buntheit scheint in der Nachfolge eines Malers der Romantik wie C. D. Friedrich auch das Fehlen des Göttlichen anzuzeigen, da die erhabene Leere der nach Innen gewendeten Nachtseite des Menschen die Formlosigkeit des Dunkeln anklingen lässt. Für Philipp Otto Runge war das Schwarz noch dem Bösen ebenbürtig und nur die Vertreter einer „negativen Theologie“ von Dionysius Areopagita bis Johannes vom Kreuz sahen im schwarzen Licht die Existenz Gottes begründet. Aber auch auf diesem Weg der Anregung für die gegenstandslose Moderne ist darauf zu achten, dass die einzige Vergleichbarkeit in einer neuerlichen Grenzsituation liegt. Klauke nützt in erhabener Leere zahlreiche Kunstmittel der Übertreibung, um in die Rolle des postmodernen Provokateurs und Schattenkünstlers zu schlüpfen. Dieser kultiviert mit heiterer Schwärze nachhomerischen Gelächters seine Erscheinung als „Blindgänger“, was bekanntlich nach dem nicht funktionstüchtigen Kriegsgerät in zweiter Bedeutung den Scheiternden beschreibt – und damit den, der (sich) versagt.
Die theoretische Herkunft der Fotografie aus der Schattenkunst oder Lichtspur wird denn auch von ihm besonders im „Prosecuritas“-Zyklus, den wieder fotografierten Botschaften aus dem röntgenologischen Kofferschacht oder Diagnosegerät, zum Selbstzitat des Mediums in seinen komplexen historischen Bedingungen gewandelt. Auch wenn der Topos der „letzten Bilder“ als existentielle Frage an die leeren -Körperhülsen aus Pompeji oder Hiroshima erinnert, ist vor allem der bedrohte Körper angesprochen und die durch die Medien schlüpfrig-flüchtige Realität der Gegenwart. Diese Ästhetik des Verschwindens versucht in den neu gefundenen Bildern des Innenlebens der Körper eine Entsprechung zur äußeren Dingwelt zu finden.
Alle Kunst, aber besonders die Fotografie, kommt letztlich aus dem Spiel mit dem nachgezogenen Schatten, wie uns die Anekdote der Dibutadis durch Plinius d.Ä. lehrt.8 Die auf das Entstehen und die Art des Machens von Kunst verweisenden Werke sind denn angesichts des postmodernen Umgangs mit Geschichte auch bei Klauke zahlreich. Dabei interessiert den Künstler das sich in ein Schwarzbuch Einschreiben mit einer Auflistung von Situationen des Versagens. Es geht um Sequenzen verzweifelter -Fussfassung, zwangsweise anmutender Hängung und übertriebener Andeutungen labiler Haltungen; etwa auf Zehenspitzen das Gleichgewicht zu verlieren. Oder um einfach-komplizierte Drehungen: „Warteschleife“ (1996/1999) bringt das „Homo ludens“-Prinzip des Künstlers ein.
Wollen wir immer noch die Kunst als eine der himmlischen „Eingießungen“ sehen,
wie von Dürer überliefert, oder als die von Frederico Zuccaro an der Akademie der Spätrenaissance in Rom mit „Disegno interno“ (der Lichtspur im schwarzen Inneren des Kopfes) beschriebene Gottgabe Kreativität? Kunst als Geistesblitz des Genies, das im „Desaströsen Ich“ völlig aufgerieben, nur mehr dem dunkel-dramatischen Rest huldigt und mit kleinen, banal gesetzten Hinweisen voll Ironie einen umfassenden Kommentar zur Loslösung von Religion(en) abgibt: Dazu ist die Tugend des Trostes – allerdings für Arschlöcher – im Zweittitel zu bedenken. Ist das der neue „Pictor doctus“, der gelehrte Künstler, der die Körper, Objekte und Skelettchens wie Kinderspielzeug für sich schaukeln, tanzen und springen lässt? Der, bei dem die Frauen und Männer mit dem Besen Kehraus machen, und alles nur, um Dargestelltes, Darsteller und Sinn aus ihrer alten Einheit zu bringen? Oder denkt er an den Ausspruch Marcel Duchamps, dass die Kunst die einzige Disziplin ist, die der Wissenschaft etwas – vor allem die sinnliche Erkenntnis – zu entgegnen hat?
Die unvollendet verbliebenen Szenenteile sprechen ihre eigene Sprache, und doch bleibt der Verweis auf eine Kunst zur Darstellung des Darstellens dominant. Denn das Schwarz dieser schmalen Bühnenstreifen lässt im Ablauf der nicht narrativ erfahrbaren Handlungsteile auch eine Verlangsamung oder sogar den absoluten Stillstand von Zeit zu. Schwarz suggeriert neben der Windstille auch die Heilszeit, und auch die -Schattenbilder sind quasi Rückstände einer bevorstehenden oder bereits abgelaufenen Katastrophe. Was bleibt, ist der Umriss als Lichtspur und der Verweis auf die Tochter des Töpfers Butades, die das Schattenprofil ihres Geliebten vor seinem Abschied in den Krieg an der Wand nachzeichnet, um eine bleibende Erinnerung zu fixieren. Das ewig Gleiche: Nichts wurde aus dem propagierten Ende der Kunst oder der Geschichte, wie sie die Theorie der Achtzigerjahre verkündete. Es geht jedoch um einen -Paradigmenwechsel. Ihn hat der Künstler schon vor der Werkgruppe „Desaströses Ich“ mit seiner Vorliebe für die Maske, dem Hauptrequisit der allegorischen Nachtfrau,
und den Unort (Utopos) des Anderen auf seinen Bühnen beschworen.
Wer sich verbirgt, hat selbst etwas zu verbergen oder befindet sich in einer Art Unterwelt, auch Halbwelt genannt, in dem die Subkultur regiert. Das ist die andere Übergangsmetapher. Diese Passagen führen in ein undramatisches Dunkel. Dort, wo auch das Intime und jegliche Form der Liebe ohne schwarzen Vorhang wohnen. Und wenn Klauke mit Hilfe angenähter Geschlechtsteile auch die Wandlung zum -Zwitterwesen vornahm, blieb er einem in die Nacht verbannten erotischen Milieu treu. Nachtarbeiter sind also nicht nur die erhabenen Künstler, die Schattenwelten unserer vermeintlichen Realität sind bevölkert von jenen Gespielen und Gespielinnen, die wir am Tag und aus der Vernunft gerne verbannen. Von Genie oder Kunst als Religion sind wir in den dunklen Bühnenimaginationen des Künstlers befreit: Seine nächtliche -Beschwörung ist nur der Hinweis auf eine Leerformel, eine Dekonstruktion der alten Mythen vom Lichtbringer.