Dietrich Diederichsen

Permanenz der Projekte

Selbstdarstellbarkeit und Transformierbarkeit



Jürgen Klauke - Absolute Windstille
Kunst- und Austellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2001

I.

Moden, Wandel der Geschlechterbeziehungen, Klänge und Kleider. Man hat sich daran gewöhnt, bestimmte kulturelle Entwicklungen oder Erschütterungen, die sich nicht unmittelbar unter die Namen der großen historischen Umbrüche subsumieren lassen, mit einer eigenen Logik in den Gang der Dinge einzusortieren. Man spricht ihnen einen Ursprungszeitraum zu, konstatiert ihr erstes Auftauchen an der Oberfläche öffentlicher Diskussionen, nimmt von ihrem alsbaldigen Leiserwerden und Verschwinden keine Notiz und spricht dann, wenn dennoch ihr Fortbestehen nicht mehr zu leugnen ist, von einem Revival oder einem Comeback. Das Modell für diese ja meist auf sehr kurze Fristen ausgerichtete Geschichtsschreibung ist dennoch das ursprünglich eine ziemlich große Zeitspanne beschreibende der Renaissance.
Mit der Rede von Verschwinden und Wiedererscheinen bringt man aber Bewegung in das Ungelöste, Unabgeschlossene. Daß etwas bleibt, auch wenn es leiser wird, hat nach unserer öffentlichen Dramaturgie etwas Entmutigendes: Sein Problem ist offensichtlich nicht gelöst oder es wurde gelöst, nur wurde dies noch nicht bemerkt. Darüber hinaus stört uns – nicht immer zu Un-
recht –, wenn ein Ereignis nicht nur durch sich allein, sondern auch durch seine Vorgeschichte gedeutet werden will, die aus dem Ereignis selbst nicht ersichtlich wird. Zu Recht bleibt aber, was mehr will als nur benennen, was auf Einfluß hofft – welcher Art auch immer. Dieses insistierende Bleiben verletzt dann aber auch die Vorstellung von der Konsumierbarkeit eines Projektes, das mit der Konsumption zunichte gemacht wird. Statt an seine Kontinuität zu glauben, zieht man es vor, ihm eine Wiedergeburt, ein Revival zuzugestehen.
Wenn, wie der Kunsthistoriker John Welchman nahelegt, die bildende Kunst der letzten 20 Jahre eine Kunst der Appropriation(1) ist, also eine Kunst des Zueigenmachens, dann muß ihr Material ja zunächst einmal uneigen sein, muß immer schon fremd gewesen sein, bevor es aufgegriffen und inkorporiert werden kann. Und wenn es irgendwann schon einmal da war, muß es unverfügbar gemacht worden sein. Was aber ist dann mit Kontinuität, wie kann Kontinuität sein, wenn Appropriation die Regel ist? Müßte man dann nicht – bei einer kontinuierlichen Bearbeitung eines Eigenen – von Depropriation sprechen? Und ist Depropriation eine Eigendynamik unserer zeitgenössischen Aufmerksamkeitskultur, ein quasi natürliches In-Vergessenheit-geraten – oder kann es sich dabei auch um einen aktiven Eingriff, ein künstlerisches Manöver handeln?
Es geht mir darum, anhand der Arbeit von Jürgen Klauke einige klassische Fragen von Kunst und Öffentlichkeit zu diskutieren, die mit diesem Zusammenhang zu tun haben. Zum einen das Verhältnis zwischen einem historisch konkreten Inhalt und dem Anlaß eines Werkes, der im weiteren Verlauf in der Verschiebung auf formale Anstrengungen und Verfeinerungen verloren zu gehen scheint – und sich dann doch als dauerhafter aufgehoben erweist als in der Öffentlichkeit, die ihn längst vergessen hat. Zum anderen die Frage, wie sich dies bei einem der wichtigsten Themen Klaukes, dem Thema der Verwandlung oder der Transformation im besonderen verhält.
Ein künstlerisches Werk tritt in der Regel zu einem bestimmten Zeitpunkt in die Welt (der Kunst und ihrer Debatten) ein und ist oft von einem Thema bestimmt, einem aktuellen Thema, einem Thema des gerade jeweiligen Moments. Dann überstrahlt seine Aktualität oft alles andere. Künstlern, die sich auf diese Weise mit einem Thema verbunden haben, gelingt es jedoch manchmal, exakt aus dem Inhalt dieses (natürlich auch vergänglichen und Konjunkturen unterworfenen) Themas ein formales Problem herauszuarbeiten, also aus seiner aktuellen Gestalt so etwas wie ›Gestalt an sich‹ herauszupräparieren. Und wenn sich dieses Werk dann auf der neuen, formalen (oder abstrakten) Ebene weiterentwickelt, diversifiziert und schließlich vor allem seinem Urheber zugeordnet wird, kommt es vor, daß Formulierungen entstehen, die so viel über die formale Seite von Artikulation entdeckt und sichergestellt haben, daß erneut inhaltliche, aktuelle Äußerungen und Thematisierungen – also ein Weg zu Bedeutung auch
jenseits des persönlichen Werkes und seiner Parameter – wieder möglich werden. Ein bekanntes Beispiel für einen solchen
dialektischen Dreischritt der künstlerischen Entwicklung verkörpert etwa das Werk Philip Gustons.
Vielleicht funktioniert ja so die Entstehung eines ›eigenen Themas‹, also eine Verbindung der künstlerischen Idiosynkrasie mit einem allgemeinen Problem. Vielleicht verläuft sie über die Entwicklung von einer aktuellen, spektakulär beeindruckenden Gestalt zu einer immer stabileren, aber dabei auch immer leerer werdenden Formulierung, die aber schließlich formal so stark ist, daß sie wieder etwas sagen kann. Das Objektive wandert von der Außenwelt, von der es am Anfang als Thema aufgegriffen wird, in die Form, in der es als künstlerische Problemlösung möglichst zeit- und konjunkturunabhängig auf einen Punkt kommen will, um schließlich wieder zu einer Aussage zu gelangen, zu einer Proposition, an der ein Subjekt und ein Objekt beteiligt sind.
Womöglich ist das, was durch so einen Weg durch ›formale Objektivität‹ hindurch am Ende wieder als Vokabular für äußere Gegenstände zur Verfügung steht, sogar etwas sehr Ähnliches wie der allererste Entwurf. Womöglich konnte das einst aktuelle Thema die Aura seiner ehemaligen Aktualität und die Besonderheit seiner politischen Relevanz besser im Winterschlaf des Formalismus überleben lassen und aufbewahren, als es das nackte, auf bloße Inhaltlichkeit reduzierte Skelett des Themas unter dem Druck der Kräfte des Status quo und der Macht in einer rein politischen Welt gekonnt hätte. Dies sei nicht – antidemokratisch – gegen Debatten gesagt und ihr vermeintliches Totreden und Nivellieren, wohl aber für die sich den notwendig vereinfachenden und von der immer stärkeren Gegenseite genutzten Regeln der öffentlichen Kommunikation nicht öffnende Seite von Einsprüchen, die noch immer auf die Kunst (oder ähnliches) verwiesen werden.
Natürlich verlaufen weder Biographien noch Werkentwicklungen so harmonisch entlang einer Dialektik von inhaltlich begründetem Amok und reif gewordener formaler Strenge hin zu einer abgeklärten Synthese, auch die von Jürgen Klauke nicht. Dennoch scheint es mir plausibel und nicht ganz zufällig, daß mir der zumindest in groben Zügen – vor allem früher – oft wie oben beschrieben abzulaufen scheinende Plan künstlerischer Schwerpunktsetzung zu Klauke nicht nur wieder einfällt, sondern auch meine Beschäftigung mit seiner Arbeit anläßlich dieser Retrospektive strukturiert hat.
Sicher gibt es bei Klauke einen großen Anteil inhaltlicher und formaler Interessen, die man nicht nur als Abstraktionen und
Formalismen seines ersten Themas bestimmen kann. Es gibt Interessengebiete, Darstellungsformen, die schon so weit und so frühzeitig eigene Stränge gebildet haben, daß sie aus der Argumentation herauszunehmen oder allenfalls aus einer gewissen Ferne zu dem meine Frage eher bestimmenden Teil der Arbeit in Beziehung zu setzen sind.
Wenn ich im folgenden dennoch so eine idealtypische Künstlererzählung auf den Fortschritt und die Bewegungen bei Klauke beziehen werde, dann aus zwei Gründen: Zum einen weil es mir scheint, daß bestimmte Potentiale seiner Arbeit, die so ein altmodisch-linearer Blick nicht umhin kann zu bemerken, von anderen und dominanteren Perspektiven aus, etwa den technologisch oder stilistisch argumentierenden, regelmäßig übersehen werden. Zum anderen weil mich der spezifische Beginn von Klaukes Arbeiten – das Thema des ›Transformers‹ – gerade inhaltlich interessiert hat, insbesondere in den letzten Jahren.(2)
Dieses Interesse hat nun zu einer generellen Frage geführt, nämlich inwiefern in bestimmten künstlerischen und künstlerisch-persönlichkeitspolitischen Projekten protopolitische Kerne eingeschlossen sind und wie weit diese protopolitischen Kerne der besonderen Aufmerksamkeit der Kulturwissenschaften, der ›Cultural Studies‹ bedürfen – in einem Sinne, in dem die konventionelle Kunstgeschichte nicht mehr helfen kann (und die weniger konventionelle meistens auch nicht).(3)


II.

Das Thema der Transformation taucht bei Klauke zwar schon 1970 auf (Ich + Ich). 1973 aber hat er explizit mehrere Fotoarbeiten Transformer genannt und sich dabei auf das gleichnamige Album von Lou Reed aus dem Jahre 1972 bezogen. In dem bekanntesten Lied dieser Platte »Take A Walk On The Wild Side«, setzt Reed den drei berühmtesten Drag Queens aus dem Umfeld von
Warhols Factory ein Denkmal: Holly Woodlawn, Candy Darling und Jackie Curtis. Dieses ›heilige Trio‹ verkörperte erfolgreich und nachhaltig eine Verwandlungsfähigkeit der Geschlechterrollen, die über den kabarettistischen Travestie-Auftritt mit ins Publikum geschleuderter Perücke weit hinausging, vor allem in einem entscheidenden Punkt: So wie die Travestie-Nummer letztendlich den Unterschied zwischen Mann und Frau festschreibt – diese Frau ist also in Wirklichkeit ein Mann –, so lief die Transformation von Jackie, Candy und Holly, zumindest in der Interpretation von Lou Reed darauf hinaus, tatsächlich neue Geschlechter zu erfinden – oder noch utopischer: neue Personen, die über Geschlecht verfügen konnten, statt determiniert zu werden.
Natürlich haben diese drei, die feminine Candy, die vulgäre Jackie und die immer leicht mißlungen glamourös-verführerische Holly, nicht einfach die Geschichte des Transvestitismus abschütteln können, weder ihre Bedeutung als Performance für ein Hetero-Publikum, noch als Institution schwuler Subkultur. Die wesentlichen Elemente dieser Traditionen tauchen in ihren Performances in Übertreibungen, einem ›metacampy‹ verwalteten Arsenal von Bildern, Habitus und Routine durchaus noch auf, werden aber schließlich zu eigenen Erfindungen hin überschritten.
Diese Emanzipation des Cross-Dressing, des Drag hatte in den frühen 70er Jahren vielfältige Folgen. Von der Adaption von Drag-Acts und Camp-Routine, von ansonsten in ihrer Heterosexualität stabilen Rockbands (Rolling Stones, The New Yorks Dolls) bis umgekehrt zur Feminisierung und Aufwertung bi- und homosexuellen Lifestyles bei bis dato eher ambig-asexuellen Hippie-Künstlern wie David Bowie; von der Verbreitung homo-, bi- und pansexueller Motive in Mainstream- und Kunstkino (Performance, Tod in Venedig, Satyricon, Faustrecht der Freiheit etc.) bis zu einer ziemlich umfassenden Popularisierung aller möglichen Motive homosexueller Subkultur in der heterosexuellen oder nun bi- und pansexuellen Subkultur.
Doch in dieser ›Emanzipation‹ und den Anfängen auch einer Normalisierung steckte noch ein anderes Motiv – eine viel generellere Erfahrung von der Formbarkeit und Gestaltbarkeit sexueller Identitäten, jenseits eines bloß bipolaren Spieles oder eines Aufbegehrens gegen Marginalisierung und Stigmatisierung. Diese generelle Erfahrung – so wahr und verschüttet ihre Quellen auch sein mochten – konnte natürlich ebenso schnell zum tiefsinnig-anthropologischen Gemeinplatz verkommen, wenn nämlich ihre Verbindung mit diesem konkreten und historischen Aufbegehren gekappt oder übersehen wird.
Für diese Entdeckung wie für ihre Popularisierung in einem konkreten, historischen Moment steht der Begriff des Transformers. Natürlich war es auf der einen Seite problematisch, aus den konkreten Projekten einer sich auch politisch verstehenden kulturellen Bewegung, einen allgemeinen abstrakten Begriff zu gewinnen, der auch anderen zur Verfügung stand und zum Gegenstand eines Paradigmenwechsel wurde. Der konkrete Kampf drohte dabei vergessen oder instrumentalisiert zu werden. Dennoch war aber auch in dieser erweiterten, abstrakten Fassung vieles von der Transformation aufgehoben und konnte an andere kulturelle Entwicklungen angeschlossen werden.
Gleichzeitig wurde auf der anderen Seite bald eine neue konkret-historische Lesart populär im weiteren Verlauf des Übergangs von Glam-Rock zu Big-Hair-Bands etwa, die darauf hinauslief durch Feminisierung nur die männlich-heterosexuelle Position zu stärken und zu erweitern. Ein dialektisches Problem: Jedes Öffnen eines engen Bereichs führt zu seiner Schwächung, kann aber auch in eine erweiterte Stärkung umschlagen. Vielleicht kann man zugute halten, daß die falsche Depolitisierung der ›queeren‹ Transformation zu einer allgemeinen Wahl immerhin auch eine ›Verqueerung‹ der authentizistisch-existentialistischen Konvention der Selbstfindung zur Folge hatte.
Klauke steht zu Beginn zwischen all diesen Polen: die erschütternde und ermächtigende Entdeckung der Transformation an sich, ihre konkreten Versionen in verschiedenen außerkünstlerischen Subkulturen, ihrem Umschlag in ein erweitertes, erneut eine Position der Universalität beanspruchendes Machotum – und dem Versuch, diese Gemengelage, oft ohne erkennbare Parteinahme in künstlerischen Formen gleichzeitig offen zu halten, ja in Bewegung zu bringen und auf abstrakte Logiken zu übertragen. Zwar waren all diese Tendenzen der Transformer-Rezeption auch aus zeitgenössischer Perspektive nicht so zu erkennen, wie ich sie hier, auf späteren Kategorien aufbauend, beschreibe. Es gab bei Klauke aber auf dem Weg zu einer formaleren Fassung der Transformation, viele Zwischenstufen, an denen man klar erkennen konnte, daß er sein Projekt weder auf einen unmittelbaren Beitrag zum ›Transgenderism‹ hinauslaufen lassen wollte, noch im Gegenteil auf eine reine Erweiterung einer heterosexuellen Männerselbstdarstellung, die sich nur ein paar Trophäen des anderen angehängt hatte.
Klauke hat seinen späteren abstrakteren Begriff der Transformation zunächst gerade aus sehr konkretem zeitgenössischem Material gewonnen. Kleider und Schmuckstücke, die mit bestimmten subkulturellen Lebensformen in Verbindung standen und nach und nach fixer codiert wurden, vermischen sich in seinen frühen Arbeiten in ihrer Alltagsversion mit vom Künstler entwickelten Erweiterungen und Zuspitzungen. Klauke pendelt sozusagen zwischen dem, was in der Szene und dem, was nur in der überhöhten Szene, auf Plattencovern oder Postern, möglich war, zwischen Transformationen aus dem Alltagsleben und nur für die Kunst
inszenierten Transformationen.


III.

Die Idee der Transformation und des Transformers markierte einen dramatischen Paradigmenwechsel mit vorangegangenen Konzepten der Selbstverwirklichung und der Subkultur wie etwa dem des Nonkonformismus. Und diesen Unterschied zum klassischen Nonkonformismus herauszuarbeiten, erkenne ich als einen weiteren entscheidenden Punkt in Klaukes Arbeit: Sei es bei den
Existentialisten der europäischen, den Beatniks der US-amerikanischen Nachkriegszeit, sei es bei den weltweiten Hippies und Hermann-Hesse-Lesern der 60er Jahre. In all diesen nonkonformistischen Entwürfen ging man davon aus, daß ein System der Konvention und der Repression, die Individuen daran hindere, ihr ›wahres Selbst‹ zu finden, zu sich zu kommen. Ich erwähne nicht nur aus polemischen Gründen die Romane Hesses, die ja noch heute verordnet werden, wenn sich auf ontogenetischer Ebene wiederholt, was phylogenetisch der Menschheit in den 60er Jahren widerfuhr: eine Pubertät und die dazugehörige Aufforderung zur Individuation. Immer wieder beheben diese Romane Lebenskrisen durch einen Pathos der Ich-Werdung oder Selbstfindung, teils aus buddhistisch-hinduistischen Motiven (Atman), dann wieder aus existentialistischen oder vulgärpsychoanalytischen (»Wo Es war, soll Ich werden.«). Immer sind ›Ich‹ und ›Selbst‹ schon fertig – man muß sie nur finden, darf sie aber nicht erfinden.
Die Transformation leitete dagegen die Durchsetzung eines neuen Modells ein, welches sich mittlerweile auch auf breiterer Ebene großer Beliebtheit erfreut: die Ich-Änderung, Ich-Erfindung, Selbstkonstruktion. Kein Schicksal ist von Genen, Gesellschaft, Tradition und Biologie zwangsweise vorgegeben: Wir müssen uns nunmehr erfinden. Und der – möglicherweise politische – Antagonismus, den wir auszutragen haben, besteht nicht zwischen denen, die uns von uns entfremden wollen und unserer Wahrheit, sondern denen, die uns bei uns selbst stillstellen wollen und unserer souveränen Fremdheit. Diese Verschiebung wiederum, dieser Paradigmenwechsel liegt als paradoxe Version von ›Eigenem‹ dem Klaukeschen Werk zugrunde.
Diese Position, der Glaube an die Selbsterfindung ist nun mittlerweile in allen möglichen, auch politisch äußerst unterschiedlich zu bewertenden Facetten bekannt – als minoritäre Selbstermächtigung ebenso wie als verhängte Ideologie. Ihren Ausgangspunkt kann man in den 70er Jahren aber durchaus als einen massiven Bruch mit dem ideologischen Zwangsregime ›natürlicher‹,
›authentischer‹ Lebensstile beschreiben, insbesondere sexueller Orientierungen, als eine radikale Öffnung menschlicher Möglichkeiten zu einer prinzipiellen Bejahung aller Entwürfe jenseits der beiden Geschlechter und ihrer Heterosexualität und jenseits auch der bloßen Umkehrung dieser Binarität. Anders als die ›dekadente‹ Revolte ›gegen die Natur‹ der letzten Jahrhundertwende, ging diese nicht mehr von einer vorgeordneten Natur aus, die von seiten der Sexualität dem Menschen gegenübersteht, sondern von einer Kultur des Setzens und Erfindens, die die leere Sinnlichkeit, das asemantische Begehren aus ›freien Stücken‹ mit Inhalten versieht. Frei waren diese Stücke natürlich nur in dem Maße, wie sie ihre Gründe in der individuellen Lebensgeschichte der Person haben. Daran, daß man sich diese nie ganz frei wählt, muß gegen manchen naiven Gender-Enthusiasmus zuweilen erinnert werden. Auch daran, daß natürlich auch diese Lebensstil-Revolte wie schon ihr selbstverwirklichender Vorläufer nicht gegen ihre kapitalistische Verwertung gefeit war. Daß aber ihre Brisanz damit auch noch nicht verschwunden war, zeigt der tiefe Eindruck, den die Wiederaufnahme des Projektes, seine Vertiefung und Erweiterung gegen Geschlechteressentialismus und gegen deren Binarismus, in den Gender-Debatten der 90er Jahre auf die gesamten Kultur, insbesondere die bildende Kunst der Gegenwart gemacht hat.
Jürgen Klauke hat dieses Thema und seine Brisanz nun von Anfang an auf der Ebene einer sich klar als Kunst gerierenden und erkennbaren Ausdrucksweise bearbeitet. Obwohl nicht nur der intellektuelle Gehalt der Transformer-Gedanken, sondern auch die Entwicklungen der Avantgarde-Kunst in Klaukes unmittelbarer künstlerischer und sozialer Umgebung es nahegelegt hätten, diesen Übergang von künstlerischer Gestaltung in Lebensentwürfe entlang der Genres zu inszenieren, die sich auch formal und programmatisch die Aufhebung dieser alten Grenze vorgenommen hatten, hat Klauke von Anfang an, eine sozusagen zweite Ebene einbezogen: Die existentielle Dimension eines transformierenden Stylings bekam bei ihm als Ganzes ein neues, ein sozusagen dieses Ganze einklammerndes Styling, wurde zum Gegenstand von Kunst. Selbst da, wo Restbestände seines Alltagsstylings (Subkultur-Schmuck) und Kunststylings einander bei Bildinszenierungen begegnen und vielleicht nur Unachtsamkeit oder Lässigkeit zu diesen Begegnungen von Zeichen unterschiedlicher Ebenen führte, sorgt die klar gesetzte Rahmung der ganzen Arbeit ›als Kunst‹ dafür, daß beide Arten von Zeichen auf der Seite der Kunst landen. Die gerade für das Transformationsthema sich so sehr anbietende Möglichkeit der Behauptung eines Kunst-Leben-Übergangs wird eindeutig ausgeschlagen.
Dabei ist interessant zu beobachten, wie dieses Styling verschiedene Stadien durchlaufen hat. Von Ich + Ich über Self Performance, Transformer zu Umarmung, also zwischen 1970 und 1974 kann man beobachten, wie Accessoires aus der zeitgenössischen Subkultur (die rote Lederhose etwa), die prägnant für die Arbeit und ihre Verbindung mit dem historischen Moment stehen, nach und nach von weniger spezifisch codierten, eher von allgemein sexuellen Symbolen überlagert oder dominiert werden. Später gibt es in den 70er Jahren dann Szenen und Serien, in denen Schmuck, Accessoires und Tätowierungen vorkommen, die für spätere Subkulturen noch bedeutsam werden sollten. Im Kleinen kann man schon an diesen Zyklen erkennen, wie Klauke vom konkreten Fall ausgehend, allgemeiner formulierend, wieder ein Vokabular fand, das sich mit späteren konkreten außerkünstlerischen Entwicklungen verband. Weder hat Klauke im ersten Fall Subkultur ausgebeutet, noch im zweiten beeinflußt, sondern in beiden Fällen hat sich aus der künstlerischen Konzentration auf einen Zusammenhang ein anderes Tempo als das der mikrohistorischen Zeit da draußen ergeben.


IV.

Der zweite entscheidende Schritt, den Klauke machte, war eine medienspezifische Übersetzung des Transformationsgedankens. Wenn man einen großen Teil seiner Arbeit in einen etwas gewaltsamen Genrebegriff fassen will, spricht man am besten von ›performativer Fotografie‹. Diese ist allerdings nicht nur ein (künstlerisches) Genre, sondern auch ein Ergebnis medienbezogener Überlegungen. Die Frage der Transformierbarkeit findet natürlich zunächst ihre Antwort in der Wahl eines ›objektiven‹ Mediums. In gewisser Weise muß das ›Objekt‹ der Transformation ja ein dokumentierter Mensch sein. Dieses ›Objekt‹ muß eine gewisse überprüfbare Härte haben und darf nicht in den Manipulationen und Gestaltungsentscheidungen in der Darstellung aufgehen, als bloßer Ausdruck künstlerischer Subjektivität. Diese Subjektivität wäre eher in der Entscheidung für das ›objektive‹ Medium und anderen Entscheidungen zu suchen, die dem Prozeß der Abbildung den Charakter von Versuchsanordnungen geben.
Auf der anderen Seite ist die ›Objektivität‹ der Fotografie selbstverständlich eine Fiktion und war dies schon vor dem Aufkommen digitaler Manipulationsmöglichkeiten. Sie ist dies insbesondere als künstlerisches Mittel. Es kann also nicht darauf ankommen, in Klaukes Arbeiten einen nunmehr objektiven Umgang mit dem eigentlich Subjektiven und eigentlich Künstlerischen, mit also dem Anteil der Person an dem Prozeß oder mit dem dargestellten Transformationsergebnis oder Transformationsdispositiv festzustellen. Vielmehr geht es darum, daß ein bestimmter hochpersönlicher Gebrauch des Mediums, das zwar auf technischer Ebene eine objektive Dimension hat (nicht nur ein Objektiv), auf künstlerischer Ebene aber wohl nur eine Reputation des Objektiven, daß ein bestimmter Gebrauch den Gegenstand so zentral werden läßt, bestimmte Eigenschaften an ihm so dominierend werden läßt, daß man es sich nur mit dem medial bestimmten Verzicht auf Darstellungseingriffe erklären kann, die natürlich in Wirklichkeit immens sind.
Der zweite Bestandteil seiner Fotografien betrifft eine weitere wichtige Entscheidung Klaukes im Umgang mit seinem Thema: die von der Kamera festgehaltene Performance.(4) Denn die Person, die da zu sehen ist, an der all diese Fragen der Gegenständlichkeit und Objektivierbarkeit eines lebenden Menschen und seiner Transformation ausprobiert werden, diese Person ist ja der Künstler selbst. Derjenige mithin, der sich auch z.B. zum Verzicht auf bestimmte expressive Elemente in der Kulisse entschieden hat. Wenn wir wissen, daß diese Person der Künstler ist, bleiben uns also mehrere Möglichkeiten, mit diesem Wissen zu verfahren. Entweder erkennen wir eine Doppelung, der Künstler tritt zweimal in sehr unterschiedlicher Weise auf. Oder wir finden eine Kritik an allen Ideen eines einheitlichen Künstlersubjekts – ein Künstler muß sich eben sein Werk immer so arrangieren, daß sich für ihn ganz unterschiedliche bis entgegengesetzte Möglichkeiten, mit diesem zu leben, ergeben. Schließlich: Die Präsenz des Künstlers im Bild könnte auf sehr geschickte Weise eine zweite Ebene einführen, die nicht nur Ausdrucksluxus wäre, sondern sich aus dem Projekt selbst ergibt. Dazu gleich mehr.
Das Wesentliche an dem Performance-Element der fotografischen Arbeiten scheint mir zu sein, daß sie in erster Linie resultativ sind. Man spricht im Zusammenhang mit Klaukes Kunst oder auch der Cindy Shermans gerne von inszenierter Fotografie. Inszeniert im Sinne von ›in Szene gesetzt‹ ist die Fotografie tatsächlich, aber das erklärt oder beschreibt noch nicht die Personen oder Körper auf diesen Fotografien. Sie sind zwar in einer bestimmten Weise in einen Raum gestellt, beleuchtet, arrangiert etc., aber sie haben auch einen Gesichtsausdruck, Kleidung, Requisiten, Maske, Schminke etc., die oft aus einer anderen Welt zu kommen scheinen, nicht mit einer ganzheitlichen Fiktion oder Rolle zusammenpassen und im Gegensatz zu dem, was man sich landläufig unter einem kostümierten Körper in seiner Rolle vorstellt, haben sie oft große Leerstellen. Dies gilt vor allem für die meist anonymen Körper späterer Arbeiten.
Sie alle treten nun für einen, allerdings durch die Konservierung als Foto endlosen Moment auf. Sie haben keinen Film zu durchschreiten, keine Geschichte zu erzählen, vor allem: Sie führt kein Weg in die Maske oder aus ihr wieder heraus. Sie leben für das Resultat eines entweder ganz gesteuerten oder auch mit inszenierten Zufällen herbeigeführten Ausdrucks. Der Transformer und seine Nachfolger sind bei Klauke immer momentan, aber auch immer endgültig. Für den Moment. Selbst in Serien, die eine Geschichte erzählen, spielen diese nur zwischen verschiedenen Stadien des bereits Transformierten, es geht nie darum, den Akt der Verwandlung selbst zu thematisieren.
Resultat statt Prozeß. Gilt dies nun generell für die von Klauke ja in eine gewisse Abstraktion verlängerte Idee der Transformation? Denn immerhin stehen dem große prozessuale Transformer-Performer gegenüber, wie etwa Jack Smith, für den der Prozeß zuweilen überhaupt keine Grenzen, keinen Anfang und kein Ende kannte, das Wesentliche war. An diesem Punkt hat aber Klauke eine bestimmte Wahl getroffen. Nicht in dem womöglich partizipatorischeren, direkteren Prinzip, die Transformation in der Zeit theatral oder filmisch zu gestalten, lag für ihn der entscheidende Punkt, sondern in der Komplettheit der neuen Figur. In der Komplettheit, die die Erwartung des ›natürlichen‹ Prinzips, des Wachstums, der nachvollziehbaren Verwandlung, Verkleidung oder gar Entwicklung dementiert, die von einer konsequenzenreichen Realität der Transformation spricht.
In dieser Komplettheit, die auf der einen Seite die antinatürliche und antiauthentizistische Seite am weitesten treibt, steckt auf der anderen Seite natürlich die schon erwähnte Gefahr, die Transformation dann doch wieder als eine bloße Erweiterung und Vergrößerung eines sonst vollkommen stabilen heterosexuellen männlichen Subjekts auszuführen und zu setzen. Sie wäre dann nur ein fixer neuer Typ – weit von einem Aufbruch zum Wandel entfernt. Dagegen könnte nur ein Prinzip helfen, das radikal jede Komplettheit zurückweist, weder den Weg bei ›sich selbst‹ beenden will, noch den zu einem nunmehr fremden, aber dann doch wieder ganz als neues Selbst nutzbaren ›Fremdselbst‹ findet. Das aber wäre keine Transformation mehr, denn die muß ja eine spürbare und darin auch nachhaltige, gewissermaßen zu Ende gebrachte Veränderung produzieren, kann nicht nur Aufbrüche zeigen. Das Unbehagen über dieses Dilemma, daß letztlich beide Wege, ewiger Prozeß wie Komplettheit des Abgeschlossenen, den Gedanken und das Potential der Transformation verknappen, ist auch in Klaukes Arbeit zuweilen spürbar, insbesondere auf einer zweiten Ebene jenseits der Inszenierung, dem oft unwillkürlichen oder zufälligen Ausdruck seines Gesichtes. Davon wird noch zu reden sein.
Zunächst geht es mir aber noch um einen in der Komplettheit angelegten, interessanten Bezug zum Verhältnis von Kontinuität und Bruch. Die immense Kontinuität, von der ich am Anfang sprach, die sich der massenkulturellen Aufmerksamkeitslogik widersetzt und auf Langfristigkeit von Projekten insistiert, wird nämlich noch notwendiger vor dem Hintergrund des permanenten, sehr
drastischen Bruchs, der in der wiederholten Konstruktion des Kompletten liegt. Zustände der Komplettheit lassen sich schlecht für Projekte fortdauernder Kontinuität öffnen. In dem Maße, in dem der Gegenstand einer Klauke-Fotografie komplett sein soll und so – in gewisser Weise – den Weg, die Entwicklung negiert, muß es Ähnlichkeiten und Übergänge zwischen zwei fertigen Zuständen geben. Nicht um ›Entwicklung‹ im emphatischen Sinne auf einer Makro-Ebene zu rekonstruieren, denn man wird ihre Organizität auch dort vergeblich suchen – wohl aber um einen Kontext zu schaffen, einen Raum, in dem diakritische Beobachtungen möglich sind – Beobachtungen, die auf Unterscheidbarkeit im Kleinen und auf Vergleichbarkeit basieren.
Auch diese gedankliche Rekonstruktion der Logik einer Kunst der Transformation führt zu dem oben beschriebenen ähnlichen Dilemma: daß nämlich eine Transformation nur zu erkennen ist, wenn es eine Konstante und eine Variable gibt. Die Variable ist der Entwurf, die Konstante muß ein schon vorher bekanntes Element sein. Natürlich ist dieses Element der Künstler selbst, er hat – oft unterbrochen von Arbeiten mit Modellen oder Mischformen – frühzeitig die Wahl getroffen, sich selbst zum Gegenstand zu machen und zwar gerade dort, wo der Transformierte am objektivsten, am gegenständlichsten sein muß, um mit seiner eigenen Person für die Konstanz der Versuchsanordnung einzustehen.
Die Aufgabe lautete also: Das Individuelle, den konventionell flexibel-fragilsten Aspekt der Person, dasjenige, das im existentialistischen Paradigma immer wieder neu durch eine Wahl konstituiert wird, antiauthentizistisch zur Konstante zu erklären. Das Minenspiel ist letztlich immer das gleiche. Demgegenüber wurde nun die Rolle, die konventionell als eine grobe Vereinfachung des inneren Lebens gilt, als ein Kompromiß mit der Vergesellschaftung der Existenz, als flüchtig, variabel und vergänglich hingestellt. Die Rolle ist fast gar keine mehr. Das Ergebnis der Transformation geht oft nicht in einer neuen Rolle auf, sondern in Entleerung, Abstraktion, Zufallsposen. Der konventionelle, oft gar nicht ›sprechende‹ Gesichtsausdruck ist hingegen in all seiner
Kontingenz im Laufe der Zeit wiedererkennbar und konstant geworden, das Wesentliche. Das Konstante, die Person ist ein Witz, das Zufällige aber bildet mit diesem eine Persona, einen Typ, der – zumindest für lange Zeit – immer wieder auftaucht: die zweite Ebene, der Kommentar zur Unabschließbarkeit und Unmöglichkeit der Transformation.


V.

Und hier kommt nun ein besonderes, auf verschiedenen Ebenen entscheidendes Phänomen Klaukes zum Einsatz: sein Gesicht. Das Gesicht des Künstlers steht schon in den frühen Arbeiten für einen Einsatz, der in den anderen der konzeptuell klar an zeitgenössischen Formen und Gehalten der Transformation orientierten Arbeiten nicht ganz aufgeht. Dennoch gelingt es dem zuweilen forsch, dann gefaßt, plötzlich überrumpelt, dann wieder sicher dreinschauenden Künstler, die Funktion seines Gesichtsausdruckes als zweite Ebene nicht zu gefährden. In einer sehr bekannten Arbeit demonstriert er etwa, daß schon zwei verschiedene Gesichtsausdrücke, mit einer Personenbezeichnung verbunden, sehr viele unterschiedliche plausible Rollen ergeben (Das menschliche
Antlitz im Spiegel soziologisch-nervöser Prozesse, 1976/77).
Doch später ist das Verhältnis des Gesichtsausdruckes oder eines ausdruckslosen Gesichtes zur übrigen Inszenierung komplizierter – es bleibt die Funktion einer zweiten Ebene. Diese ergibt sich aus der Versuchsanordung, in der das Subjektiv-Persönliche ein abstrakter Gegenstand sein soll, ein Material für Aussagen und Fragen zum Zusammenhang von Substanz und Akzidenz im Modell des Individuums und der Person. Das Gesicht ist also im doppelten Sinne kein kreatürlich-natürliches Element: Es repräsentiert nicht die Instanz, die »Ich« sagt oder autonome Entscheidungen trifft, denn das wäre ja gerade diejenige Instanz, die die Rolle oder die Versuchsanordnung vorgibt, der abgespaltene Drehbuchschreiberteil des Künstlers. Es repräsentiert aber auch nicht eine schauspielerische Aktivität im landläufigen Sinne, bei der sich ein ›Gesichtsbesitzer‹ und ›Körperverfüger‹ kraft eigener Fähigkeiten in den Dienst einer heteronomen Sache stellen, denn Künstler und Darsteller sind ja derselbe Jürgen Klauke.
In dieser ›Rolle des Gesichtes‹ kommt also ein Zusammenhang und eine Forschung zum Ausdruck, die die gesellschaftlich-politische Frage des Verhältnisses von Wahl und ›Schicksal‹, Freiheit und Determination – um einmal die abstrakteren, übergeordneten
Register aufzurufen – untersucht und vom unmittelbaren Anlaß einer frühen Form von Gender-Diskussion aus in allgemeinere
Bilder und Konstellationen zu führen versucht.
Wenn Crimp davon spricht, daß das, was nach Stonewall in politischer Sprache formulierbar war, schon vorher protopolitisch existierte, spricht er von einer im Grunde in ähnlicher Weise metaphysischen Substanz des Politischen wie ich in meiner These über den Verbleib des politischen Inhalts in den Bearbeitungen der Form, die dieser Inhalt zu einem historischen Moment angenommen hat. Diese Idee eines Weges vom Impliziten zum Expliziten und zurück setzt voraus, daß tatsächlich beide Seiten des Politischen, seine flüchtige Form, sein Kleid, seine Maske und sein Kern und sein Gehalt etwas gemeinsam haben, daß beide in einer Weise miteinander verstrickt sind, die sie voneinander unablösbar macht und nur Akzentverschiebungen zuläßt, unterschiedliche Betonungen – und meinetwegen auch Umstülpungen. Dennoch bleibt das Molekül intakt.
So kühn die Behauptung sein mag, daß unpolitischer und politischer Anteil einer Konstellation auch ihre jeweils andere Seite alleine aufbewahren oder bedeckend beschützen können, so wenig plausibel wäre andererseits die Gegenthese: Der tatsächlich isolierbare rein politische Anteil der Transformation existiert nicht oder ist zumindest nicht zu finden. Im Gegenteil, die bloße inhaltliche Seite der Transformationsmechanik ist mittlerweile viel anfälliger für eine Einpassung in aktuelle, herrschende Subjektivitätsregime, die nichts mehr mit der antiauthentizistischen Befreiung zur Selbsterfindung zu tun haben – die Mechanik des Inhalts, also ein Teil des Inhalts, sofern man ihn isolieren kann, verrät diesen viel eher als die abstrahierte oder durch andere ästhetische Programme gelaufene formale oder äußere Seite des historischen Moments.
Die Bestimmung der politischen Seite eines aus einer bestimmten Inhaltlichkeit entstandenen Formalismus wäre eine Aufgabe für die Kritik, die entscheidendere wäre es aber, genauer zu benennen, mit welchen Mitteln das geschieht und wie der Übergang entsteht, an dem das Politische im Formalen wieder erkennbar wird, wann sich also die etwas grobe Dialektik meiner Einleitung sozusagen in einer Synthese erfüllt. Dazu komme ich noch einmal auf das Gesicht des Künstlers zu sprechen, dessen Funktion schon zur Sprache kam.
Denn nicht nur die transformative Mechanik hat im Laufe der Jahre, die während der Arbeit von Klauke vergangen sind, in der übrigen Welt außerhalb seiner Kunst ihre Bedeutung gewechselt, hat sich von einem nonkonformen zu einem konformen oder unter gewissen Umständen sogar normativen Mittel gewandelt. Auch die Möglichkeit über einen neutral oder überrascht blickenden Künstler eine andere Ebene einzubeziehen, die strukturellen Probleme der Transformation an sich anzusprechen, hat sich in dem Maße verändert, in dem der ›blickende Griff‹ nach dem Betrachter, das ›zugreifende Anstarren‹ der starrenden Betrachter und andere Tricks und Techniken, die Klauke in den 70er und frühen 80er Jahren zuweilen benutzte oder auch nur streifte, nunmehr
allgemein durch das Vokabular von Jugendmarketing und Modefotografie eine ganz andere Verbreitung gefunden haben.
Das Gesicht des Künstlers, seine Präsenz im Bild hat sich teilweise verändert, aber in absoluten Zahlen im weiteren Verlauf von Klaukes Entwicklung auch abgenommen. Dennoch haben das Gesicht und seine Funktion eine bestimmte zweite Ebene in der intellektuellen Architektur seiner Arbeiten etabliert, die auch in späteren Arbeiten noch erkennbar ist. Auch dieser Unterschied zwischen den Ebenen ist abstrakter geworden, aber er ist nach wie vor entscheidend für das Projekt.
Das früher direkt den Betrachter einbeziehende, ansprechende Gesicht konnte sich so jederzeit auf Gewohnheiten des Zurückschauens Angeschauter verlassen, ja mit ihnen scherzen, ihnen direkte Witze anbieten, die auf einer Nähe und Bekanntheit basierten, die sich stark von der Komplexität und Fremdheit der inszenierten Teile der Arbeiten abhob. Später wurde dies in unterschiedlich stark determinierte Bildteile übersetzt: Ein relativ viel Platz einnehmender und an Emotionen appellierender nackter Männerkörper wird fast zu einem einzigen Zeichen, dem eine Raumgestaltung und Lichtregie gegenübersteht, die dichte Bündel von Ambivalenz emittiert und zu vieldeutigen Atmosphären auflädt – um nur ein Beispiel zu nennen. Die dramatische Spannung zwischen einfachen, oft bekannte Topoi von Witz oder Tragik aufrufenden, wenig in sich differenzierten Elementen und hochdifferenzierten, unterschwelligen und irritierenden Kulissen und Räumen hat sich auch bis in heutige Arbeiten fortgesetzt, bei denen weder ein Gesicht, noch das Verfolgen einer Transformation eine Rolle spielt. Darin aber hat das Projekt auch in diesen Konstellationen den Hauptgedanken von der notwendig unvollständigen Transformation und den strukturellen Themen der performativen Fotografie weiterverfolgt.
Natürlich hat die Arbeit von Klauke, und das ist spätestens in den 90er Jahren sichtbar geworden, nicht nur diesen anfangs beschriebenen und nun zu den besagten abstrakten Aufhebungen führenden, dialektischen Weg eingenommen. Sie hat nur auf der einen Seite den Weg von einer abstrakten Formalisierung einer politischen Szene und eines politischen Moments mit dem Ziel einer Reformulierung dieses politischen Moments aus seiner ästhetischen Aufhebung und deren Gegenaufhebung in der
Grimasse angesteuert. Gleichzeitig hat sie auf der Höhe der so erreichten formalen Sprache diese auch für ganz andere Zwecke eingesetzt.
Das könnte man nun teilweise tatsächlich für rein anthropologisch halten. Es scheint vor allem um Maßverhältnisse, Gewichte und Freisetzungen von Energie in einem anthropologischen Sinne zu gehen. Doch die Ebene des bestätigenden und gleichzeitig dementierenden Witzes läßt sich auch hier immer wieder ausmachen, nur daß sie tief in das ästhetische Betriebssystem eingedrungen ist. Selbst bei einer Arbeit wie Desaströses Ich taucht, wenn auch seltener geworden, zuweilen inmitten der extrem stilisierten Fotografie eine kalauernde Deutungsmöglichkeit auf, die dem Betrachter eine vorübergehende Fraternisierung anbietet, die aber am Schluß sich nicht zum gemeinsamen Lachen hin auflöst, sondern gerade die Ungelöstheit bestärkt.
In diesen Arbeiten kann man heute noch erkennen, daß Klauke den aus der performativen Fotografie heraus entwickelten Dramatisierungstechniken in gleicher Weise verfallen ist, wie er ihnen mißtraut, wie er ihr Pathos nicht stehen lassen will. Billig ist immer, den Witz siegen zu lassen. Noch billiger, seine Möglichkeit nicht zu sehen. Die produktive Unsicherheit über die Darstellbarkeit eines Ergebnisses persönlicher Erfindung und Inszenierung ist übergegangen auf eine produktive Unsicherheit gegenüber Darstellbarkeit an sich, aber auch gegenüber der mit dem 70er-Jahre-Konzept der Transformation auch immer notwendig verbundenen Idee der Selbstdarstellung. Klauke bleibt also dem politischen Impetus der Transformation in gewisser Weise auch gerade darin treu, daß er das – historisch seitdem immer größer gewordene – allgemeine Problem des Selbstportraits und der Darstellung des eigenen und fremden, wie auch immer gewählten Körpers prinzipiell an seine Grenzen führt und zuweilen auch skeptisch dementiert. Nur in einer solchen Konfrontation mit einer Skepsis gegenüber seinem eigenen Pathos der Setzung, durch Kunst wie durch Komik, kann dieses ursprünglich außerkünstlerische Projekt der Transformation nun gerade von einer künstlerischen
Diskussion weitergeführt werden.


Anmerkungen

  1. John Welchmann: Art After Appropriation. London 2000.
  2. Ich beziehe mich dabei vor allem auf meine Mitarbeit an der Veranstaltungsreihe »Cross Gender/Cross Genre«, die die Arbeitsgruppe Berlin beim
    »Steirischen Herbst« 1999 veranstaltet hat, sowie ein Seminar zu »Drag Culture, Glam Rock und Jack Smith« an der Universität Gießen im
    Sommersemester 2000.
  3. Wertvolle Hinweise zu dieser Frage gibt Douglas Crimps Lektüre früher Warhol-Filme als schwule Prä-Stonewall Protopolitik in seinem Aufsatz
    »Getting the Warhol We Deserve«. In Texte zur Kunst, 35/1999 Köln.
  4. Natürlich gab es auch einige Live-Performances in Klaukes Werk, die man aber im Rahmen dieses Essays aussparen muß.